Bietigheimer Tag „Vom Reden ins Handeln kommen“

Von Jonathan Lung
Dr. Hartmut Brösamle Gründer der Stiftung Soziale und Ökologische Zukunft und Geschäftsführer wpd GmbH. Foto: /Oliver Bürkle

Referent Hartmut Brösamle: Schon kleine Schritte können viel bewirken.

„Es ist das Jahr 2100. Dürren vernichten Ernten, das Trinkwasser ist knapp. Die Hitze tötet Hunderttausende Menschen in Europa. Wälder brennen. Es kommt zu Stromausfällen, weil Atomkraftwerke nicht mehr ausreichend gekühlt werden können. Fluten richten Schäden in Milliardenhöhe an“, so eine Einschätzung des Handelsblatts. Die verheerende Wirkung von schon wenigen Grad mehr, das Zusteuern auf riskante Kipppunkte des Klimawandels – auch er habe Freunde, erzählte Hartmut Brösamle, studierte, intelligente Menschen seien das, die sagten: „Ich schaue keine Nachrichten mehr. Die ganzen Krisen und Kriege sind mir zu viel, ich konzentriere mich auf meinen privaten Mikrokosmos. Man kann ja eh nichts ändern.“

Diesem verständlichen Reflex sollte beim diesjährigen Bietigheimer Tag etwas entgegengesetzt werden: „Leben in und mit Krisen – Gesellschaft zwischen Resignation, Aggression und Zuversicht“, war das Thema des diesjährigen Gesprächs zwischen der Evangelischen Kirche und der SPD, das nun schon zum 103. Mal stattfand. „Vom Gespräch ins Handeln kommen – und dann wieder ins Gespräch“, das sei das Ziel, so Pfarrer Bernhard Ritter von der Evangelischen Gesamtkirchengemeinde Bietigheim, der zusammen mit Pfarrer Thomas Reusch-Frey, Vorstandsmitglied im SPD-Ortsverein Bietigheim-Bissingen den Bietigheimer Tag leitete.

„Aufgeben ist keine Option“

Hartmut Brösamle, Gründer der Stiftung „Soziale und Ökologische Zukunft“ und Geschäftsführer der wpd GmbH, einem international agierenden Entwickler und Betreiber von Windparks an Land sowie von Solarprojekten, war einer der dazu eingeladenen Gäste. Er baute als einer der ersten Windparks in Baden-Württemberg und engagierte sich dann mit der Stiftung weltweit. Die pessimistische Einstellung seiner Freunde teilt er nicht: Bei seinem Kampf für die Windkraft hat er sowohl mit Bauern als auch mit Bürgermeistern die Erfahrung gemacht, dass sich ein langer Atem auszahlte: bei manchen Projekten vergingen Jahrzehnte, bis ein Konsens erzielt wurde – oder auch gar nicht. „Aufgeben ist keine Option“, ist sein Credo.

Seine Stiftung widmet sich nun Projekten, die teilweise minimalem Aufwand einen enormen Unterschied im Leben der Betroffenen machen: Acht-Euro-Solarlampen in entlegenen Gegenden Pakistans ermöglichen es Kindern, nachts zu lernen. Ein paar Hundert Euro für Bücher alle paar Jahre und eine einmalige Investition in ein Pferd bringen in Indonesien per „Pferdebücherei“ Literatur zu Kindern auf dem Dorf. Ein Brunnen und ein Lehrer verändern ein Dorf in Sambia völlig.

Mitgestaltung jedes einzelnen

Impulse kamen auch von Michael Wolf, Baubürgermeister der Stadt Bietigheim-Bissingen mit Zuständigkeit für den Klimaschutz. Die städtischen Maßnahmen auf dem Weg zur Klimaneutralität stellte er erst mal hintenan – er könnte Stunden über die Steigerung der Sanierungsrate, Verbesserung des ÖPNV und die ausstehende Förderung für Balkonkraftwerke sprechen – sondern stellte die große Mitgestaltungsmöglichkeit des einzelnen in den Mittelpunkt: Solaranlage auf das Dach, den Kühlschrank zumachen, bis man sich entschieden hat, was man möchte, den Deckel auf den Topf, als Hausbesitzer auch mal einen Energieberater einladen, das Fahrrad nehmen – statistische betragen 2/3 der Fahrten weniger als zehn Kilometer. „Es ist schon gut wenn sich jeder jeden Tag aufs neue fragt, was er machen kann“, so Wolf, Klimaschutz sei nicht eine rein staatliche Aufgabe.

Auch Engagierte der Initiative „Bietigheim-Bissingen klimaneutral!“ waren am Samstag im Gemeindehaus. Die Initiative ist als Lokalgruppe Teil des Verbands „German Zero“, der sich für eine deutsche Klimaneutralität bis 2035 einsetzt. Die Bietigheimer warben hier für dieses ambitionierte Ziel – und erreichten 2022, dass Bietigheim-Bissingen bis 2035 klimaneutral wird. Mehrere Unterschriftenaktionen fanden statt, im Gemeinderat wurde eine Unterstützung für Balkonkraftwerke initiiert, eine Vortragsreihe gestartet und am Samstag kommende Woche soll ein „Earth-Hour“-Spaziergang stattfinden. Mit einer Vielzahl von Initiativen kämpft man hier für „Maßnahmen, die die Welt sicherer machen“, so die Aktivisten. Im Zentrum stand am Samstag der Klimawandel als eines der Krisenthemen unserer Zeit – das eigentliche Thema war aber der Umgang mit dieser Krise. Jonathan Lung

 
 
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