Bissingen vor 90 Jahren Industriegleis von Rommelmühle zum Bahnhof

Von Erwin Ruff
Eine Diesellok mit zwei Güterwagen auf der Rückfahrt von der Rommelmühle zum Güterbahnhof am 12. August 1983. Foto: Werner Brutzer

Im Jahr 1905 baute der Mühlenbesitzer Karl Rommel ein Industriegleis vom Bahnhof Bissingen zur Rommelmühle. 90 Jahre lang rollten Güterzüge durch den Ort.

Wer heute die Bissinger Bahnhofstraße befährt, kann sich kaum vorstellen, dass in dieser Straße 90 Jahre lang Güterzüge auf einem Industriegleis zwischen dem Güterbahnhof und der Rommelmühle verkehrten. Der Mühlenbetrieb in Bissingen endete erst 1996 und wurde in einen Neubau nach Stuttgart verlegt. Zuvor war die Rommelmühle 1976 von der Stuttgarter Bäckermühlen AG übernommen worden.

Die Mühlentradition an dieser Stelle geht auf das 15. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1854 erwarb Karl Rommel die Mühle. 1903 erbaute er ein neues Mühlengebäude. Zur Belieferung seiner Mühle ließ Rommel eine Eisenbahnverbindung vom Güterbahnhof Bietigheim zum Betrieb errichten. Der Bissinger Gemeinderat stimmte dem Bau unter Auflagen zu.

Mit königlicher Genehmigung

Am 7. Mai 1905 erteilte das Königlich Württembergische Ministerium des Innern die Baugenehmigung für die 2,8 Kilometer lange Schienenstrecke. Vom Güterbahnhof hinunter zur an der Enz gelegenen Mühle musste ein Höhenunterschied von etwa 50 Meter überwunden werden. Um einen kostspieligen Grunderwerb zu vermeiden, wurden die Schienen auf einer Länge von 1135 Meter in der Straßenfläche der damaligen Nachbarschaftsstraße (Vizinalstraße 5) zwischen Bietigheim und Bissingen und in der Bissinger Bahnhofstraße verlegt.

Hier mussten sich die Straßenbenutzer und die Eisenbahn die Verkehrsfläche teilen. In Fahrtrichtung Mühle betrachtet lag das Gleis auf der rechten Straßenseite. Bei der Rückfahrt zum Güterbahnhof kam der Zug deshalb den in die Bissinger Ortsmitte fahrenden Verkehrsteilnehmern direkt entgegen, weshalb diese nach links ausweichen mussten. Der über einen Kilometer lange mittlere Streckenabschnitt verlief am oberen Rand des Gemeindewalds Brandhalde auf einer eigenen Trasse.

Mit drei Leuten besetzt

Der Rangierbetrieb auf dem Industriegleis erfolgte zunächst durch die Königlich Württembergischen Staats-Eisenbahnen. In den 1920er-Jahren kamen stärkere Loks der Deutschen Reichsbahn zum Einsatz. Ab 1949 betrieb die Deutsche Bundesbahn das Industriegleis bis zur Einstellung des Güterverkehrs im Jahr 1994. Während die Güterwagen Jahrzehnte lang von Dampflokomotiven gezogen wurden, setzte man ab den 1960er-Jahren Diesellokomotiven der Baureihe 261 ein. Weil die Lokomotive im Hof der Rommelmühle nicht umgesetzt werden konnte, wurden die Güterwagen in die eine Richtung gezogen und in die Gegenrichtung von der hinten fahrenden Lok geschoben. Jede Rangierfahrt musste zur Streckenabsicherung von drei Bahnbediensteten begleitet werden.

Um einen sicheren Bahnbetrieb zu gewährleisten, enthielt die 1905 erteilte Baugenehmigung zahlreiche Auflagen. Die Rillenschienen mussten so geformt sein, dass Menschen, Tiere und Fuhrwerke beim Überschreiten und Befahren der Bahn sich in ihnen nicht festklemmen können. Am Ende des Zuges musste ein Bremswagen mitgeführt werden. Auf der ganzen Strecke war die Geschwindigkeit auf acht Stundenkilometer begrenzt. Rangierfahrten waren nur tagsüber zulässig. Über Nacht durfte kein Zug und kein Wagen auf der Straße stehen bleiben. Das Ausstoßen von Dampf und Rauch war auf das notwendige Maß zu begrenzen. Die Dampfpfeife durfte nur in Notfällen benutzt werden. Bei der Annäherung an Personen, Tiere, Fuhrwerke und bewohnte Gebäude sowie an Straßenquerungen musste zur Warnung eine laute Glocke angeschlagen werden.

Trotzdem kam es immer wieder zu Unfällen. Am 26. Oktober 1922 wurden in der Nähe des Bahnhofs eine Frau und ihr kleines Kind beim Verlassen des Hauses vom Richtung Bahnhof fahrenden Zug erfasst und tödlich verletzt. Die in der Straße verlegten Eisenbahnschienen waren eine dauernde Gefahrenquelle. Wenn es regnete, bestand für Motorradfahrer die Gefahr, auf den nassen Schienen zu rutschen und zu stürzen. Immer wieder kamen auch Radfahrer zu Fall, wenn sie mit dem Vorderrad in die Schienen kamen.

Weitere Firmen profitierten

Im Jahr 1911 wurde am Gleisabschnitt in der Brandhalde ein Nebenanschluss für den Kohlentransport zum Kraftwerk der Enzgauwerke (ab 1913 Neckarwerke) hergestellt. Dieses war bis 1964 in Betrieb. Von 1919 bis 1930 nutzte Karl Entenmann, Besitzer einer Möbelschreinerei beim Bahnhof, das Privatgleis der Firma Rommel mit. Für den Lagerschuppen der Darlehenskasse Bissingen in der Bahnhofstraße bestand Jahrzehnte lang eine Ladestelle am Gleis.

Im Sommer 1998 wurden die Schienen auf der ganzen Länge beseitigt. Zur Erinnerung an die alte Industriebahn verblieb nur ein kurzes Gleisstück an der Flößerstraße vor der Garagenzufahrt des Gebäudes Wörthstraße 5.

 
 
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