Doppelinterview mit den Oberliga-Trainern Garcia und Sbonias „Saison ist eine Wundertüte“

Von Andreas Eberle
Gruppenfoto mit Abstand: Vor dem Oberliga-Saisonstart waren die beiden Trainer Evangelos Sbonias (SGV Freiberg, links) und Alfonso Garcia (FSV 08 Bissingen) bei der Bietigheimer Zeitung zu Gast – und sprachen mit BZ-Sportredakteur Andreas Eberle (Mitte) über die neue Runde. ⇥ Foto: Martin Kalb

Beim Redaktionsbesuch fachsimpeln die Oberliga-Trainer Alfonso Garcia von 08 Bissingen und Evangelos Sbonias vom SGV Freiberg über die anstehende Mammutrunde und die Unwägbarkeiten durch Corona.

Kurz vor dem Oberliga-Saisonstart an diesem Samstag haben die Trainer der beiden hochrangigsten Vereine im Fußballbezirk Enz/Murr der Bietigheimer Zeitung einen Besuch abgestattet. Alfonso „Alfo“ Garcia vom FSV 08 Bissingen und Evangelos „Laki“ Sbonias vom SGV Freiberg sprachen mit BZ-Sportredakteur Andreas Eberle über die Mammutrunde, Publikumslieblinge und Umarmungen in Zeiten von Corona.

Die Oberliga-Saison 2020/21 wird mit 40 Punktspielen für jedes Team plus die Duelle im WFV-Pokal so hart wie noch nie. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Runde?

Alfonso Garcia: Wir gehen mit einem guten Gefühl in die Saison, gerade wenn ich mir unseren Kader und die Neuzugänge anschaue. Ich hoffe nur, dass die Runde diesmal auch zu Ende gespielt wird. Man weiß ja nie, wie sich die Corona-Pandemie in der nächsten Zeit und die Einschränkungen dadurch entwickeln. Respekt habe ich vor den vielen Spielen, die die Mannschaften bestreiten müssen.

Evangelos Sbonias: Es gibt keine Erfahrungswerte, was die vielen Spiele anbelangt. Die Belastungssteuerung ist für jedes Trainerteam eine spannende Herausforderung. Darum ist die Saison für mich auch eine Wundertüte.

Wie sieht Ihr Rezept aus, um den Terminstress und den Kräfteverschleiß für Ihre Spieler im Rahmen zu halten?

Garcia: Es ist wichtig, einen sehr ausgeglichenen und kompletten Kader zu haben, denn in dieser kräftezehrenden Saison wird viel rotiert werden. Da muss jeder spielen können, ohne dass die Qualität darunter leidet. Es wäre nicht gut, wenn wir nur 15, 16 Spieler hätten, die immer auflaufen müssen.

Sbonias: Die Mannschaft und die einzelnen Spieler müssen kapieren, dass sie sich die Positionen teilen müssen. Die Belastung muss sich gerade in dieser Ausnahmesaison auf mehrere Schultern verteilen. Nur so kann am Ende etwas Gutes herauskommen.

Hinzu kommt die Corona-Problematik. Inwiefern wirken sich die Pandemie und das Infektionsgeschehen auf die tägliche Arbeit mit der Mannschaft aus?

Sbonias: Ich bin ein Trainer, der viel mit Emotionen und Körperkontakt arbeitet. Zum Beispiel nehme ich gern mal einen Spieler in den Arm, wenn er ein Problem hat oder er unzufrieden ist. In Corona-Zeiten muss man sich selbst reglementieren und zurückhalten, was die normalen Verhaltensweisen beim Fußball angeht – ob das jetzt beim Spiel, beim Training oder beim Torjubel ist. Das ist für mich schon ein Problem, das sich mit der Zeit aber legen wird. Das Thema Corona ist allgegenwärtig. Wir sprechen das auch in der Mannschaft immer wieder an – zum Beispiel, dass nach einem Spiel und einem Sieg die Abstände wieder einzuhalten sind. Wir haben als Oberliga-Team eine gewisse Verantwortung und Vorbildfunktion.

Haben die Spieler von Ihnen oder dem Klub Handlungsempfehlungen erhalten, wie Sie sich auf und neben dem Platz sowie im privaten Umfeld verhalten sollen?

Garcia: Selbstverständlich. Vor jedem Training müssen die Spieler durch eine Sicherheitsschleuse und sich dort die Hände desinfizieren. Bei den Einheiten trainieren wir normal, aber davor und danach gilt es, die Abstände einzuhalten. So wird zum Beispiel darauf geachtet, dass nicht alle gleichzeitig duschen. Was die Jungs privat machen, kannst du als Verein aber nicht wirklich beeinflussen.

Sbonias: Wir haben zwar Handlungsempfehlungen ausgesprochen, aber die sind nicht bindend. Den Spielern muss klar sein, dass wir alle viel Arbeit reinstecken und uns eine Mammutsaison erwartet – und dass man durch Unachtsamkeit und einen Corona-Fall viel kaputt machen kann.

Rechnen Sie damit, dass das Virus den Spielbetrieb torpedieren wird und ganze Teams in Quarantäne geschickt werden müssen – wie dies zum Beispiel beim FC 08 Villingen in der Vorbereitung bereits der Fall war?

Garcia: Ein bisschen Angst habe ich schon – vor allem wenn dann im Herbst noch die normale Grippe dazukommt. Natürlich hoffen wir, dass wir die Saison normal durchziehen können, aber hundertprozentig sicher bin ich mir da nicht. Es ist alles möglich. Und die unsichere Situation erschwert alle Planungen.

Sbonias: Wir wollen alle einen fairen Wettbewerb haben. Es wäre das Schönste, wenn wir ein Stück weit zur Normalität zurückkehren könnten. Danach sieht es momentan mit Blick auf das Infektionsgeschehen nicht aus, wie ich ehrlich zugeben muss. Die Sorge habe ich schon, dass irgendwann Corona-Fälle auftreten und ganze Mannschaften in Quarantäne müssen. Wie das dann gehandhabt wird, ist eine spannende Frage.

Knapp 500 Zuschauer dürfen aktuell bei Amateurspielen aufs Sportgelände, was für die meisten Partien ausreichend erscheint. In der Champions League und der Europa League sind momentan gar keine Fans erlaubt – und Geisterspiele drohen ab September auch wieder in der Bundesliga. Könnte der Amateurfußball vor diesem Hintergrund Nutznießer der Corona- Krise sein?

Garcia: Ich kann mir gut vorstellen, dass die Leute, die sonst in ein Bundesliga-Stadion gehen, künftig auch das eine oder andere Amateurspiel besuchen. 500 Zuschauer reichen in der Regel für die Oberliga aus – außer wir haben das Derby gegen Freiberg oder ein Heimspiel gegen die Stuttgarter Kickers. Wenn wir am Ende auf so einen Schnitt kommen, wären wir sehr zufrieden.

Sbonias: Ich glaube, dass die Situation eine Chance ist. Mein Gefühl ist, dass die Menschen nach Fußball lechzen. Sie werden sich Alternativen suchen. Vielleicht finden sie dann beim Verein vor Ort ihre zweite Heimat.

Auf was freuen Sie sich in der neuen Runde am meisten?

Sbonias: Auf die englischen Wochen – weil ich mich da als Trainer persönlich weiterentwickeln kann. Die Belastung geht Richtung Profitum. Diese zu steuern und zu beobachten, wie die Mannschaft damit zurechtkommt, finde ich extrem interessant. Wenn man die Belastungssteuerung in dieser Saison nicht im Griff hat, wird das Ganze in die Hose gehen. Davon bin ich fest überzeugt.

Garcia: Ich freue mich generell auf unsere Spiele in der Oberliga  – vor allem auf die Duelle gegen Freiberg und die Kickers. Diese Partien sind für die ganze Region etwas Besonderes und würden zu normalen Zeiten auch viele Zuschauer auf den Sportplatz locken.

Wer ist für Sie der Topfavorit?

Garcia: Der SGV Freiberg. Der Verein hat sich sehr, sehr gut verstärkt und viele tolle Jungs dazubekommen. Wenn „Laki“ es schafft, eine Einheit zu formen, führt in der Meisterfrage meiner Meinung nach kein Weg am SGV vorbei. Der Hauptkonkurrent werden die Kickers sein. Und wir werden versuchen, diese beiden Topteams zu ärgern.

Sbonias: Für mich sind ganz klar die Stuttgarter Kickers der Topfavorit. Man muss bedenken, dass die Blauen allein in der Winterpause, kurz vor dem Corona-Ausbruch, fünf, sechs hochkarätige Neuzugänge hatten. Das erklärt auch, warum die Kickers in der vergangenen Transferperiode eher zurückhaltend waren. Die Mannschaft ist nun schon länger zusammen, und der Verein arbeitet unter Vollprofibedingungen. Die bisherigen Ergebnisse in der Vorbereitung und im WFV- Pokal lassen jedenfalls aufhorchen.

Und was trauen Sie dem Nachbarn vom Bruchwald zu?

Sbonias: In Bissingen sehe ich einen potenziellen Jäger. Die Nullachter haben, trotz einer größeren Fluktuation als sonst, einen Kern guter Oberliga-Spieler mit einem sehr guten Charakter. Auch das Trainerteam arbeitet schon lange erfolgreich zusammen.

Mit welchem Platz wären Sie am Saisonende zufrieden?

Garcia: Geil wäre der erste Platz (lacht). Wie „Laki“ schon gesagt hat: Die Saison ist eine Wundertüte. Wir haben uns intern einen Platz im oberen Tabellendrittel vorgenommen. Wenn wir dort landen, hätten wir eine gute Runde gespielt.

Sbonias: Man tritt an, um maximalen Erfolg zu haben – und maximaler Erfolg bedeutet Platz eins. Ich will jetzt hier aber keine großen Erwartungen schüren. Die Frage kann ich erst beantworten, wenn ein Strich unter die Saison gezogen wurde. Wenn es eine Runde gibt, in der alles gegen einen läuft – viele Verletzungen, komische Schiedsrichterentscheidungen, Corona-Fälle – muss man vielleicht auch mit Platz zehn zufrieden sein. Oder sogar mit dem Nichtabstieg, wenn man die letzte Freiberger Saison zum Maßstab nimmt. Wenn ich sehe, dass wir guten Fußball spielen, aber dennoch aufgrund eigener Dummheit Spiele verloren haben, dann bin ich mit Platz zehn nicht zufrieden, weil dann viel mehr möglich gewesen wäre.

Was war für Sie in der Vorbereitung die wichtigste Erkenntnis?

Sbonias: Man merkt, dass uns durch den späten Trainerwechsel drei Wochen in der Zusammenarbeit mit der Mannschaft fehlen. Wir sind noch mittendrin im Findungsprozess. Es wird noch zwei, drei Spieltage dauern, bis ich von ersten Erkenntnissen sprechen kann.

Garcia: Wir haben festgestellt, dass wir eine unheimlich willige Truppe haben. So viel Spaß, wie wir in den letzten sieben Wochen miteinander hatten, hatten wir im Jahr davor in der Vorbereitung nicht. Die Jungs wollen sich in jedem Training verbessern. Natürlich müssen noch viele Rädchen besser ineinandergreifen. Schließlich haben auch wir zwölf Neuzugänge zu integrieren.

Welcher Ihrer Zugänge hat das Zeug dazu, zum neuen Publikumsliebling zu werden?

Garcia: Da will und kann ich keinen Namen nennen. Wir haben einige Jungs im Kader, die schon lange bei uns spielen und bei unseren Fans sehr beliebt sind. Dazu zählen zum Beispiel Marius Kunde und Riccardo Gorgoglione.

Sbonias: Mein Wunsch als Trainer wäre, wenn die ganze Mannschaft der Publikumsliebling wäre.

Aber Marco Grüttner, der neue Star, Kapitän und Torjäger, hat ja wohl schon eine Sonderrolle im Freiberger Team. Was erwarten Sie speziell von ihm?

Sbonias: Dass er bei uns eine Führungsrolle übernimmt – nicht nur auf, sondern auch neben dem Platz. Es ist eine absolute Freude, mit so einem Fußballer und Menschen zusammenzuarbeiten. Marco hat einen ganz feinen Charakter, über seine fußballerischen Fähigkeiten brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Gerade weil wir eine fast komplett neue Mannschaft haben, ist so eine Führungspersönlichkeit ein Riesenvorteil für jeden Verein.

Herr Garcia, sind Sie neidisch auf den SGV, weil dieser auf dem Transfermarkt so große Sprünge gemacht hat und fast unter Profibedingungen trainieren kann?

Garcia: Nein, überhaupt nicht. Auch 08 Bissingen verfügt über eine starke Mannschaft und leistet tolle Arbeit. Wir arbeiten am Bruchwald mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen – und daraus machen wir das Beste. Wenn ich unsere Neuzugänge anschaue, kann ich sagen, dass wir richtig gute Jungs dazubekommen haben. Das gilt speziell auch für die beiden jüngsten Neuverpflichtungen Konstantinos Markopoulos und Matej Cosic. Es gibt also keinen Grund, neidisch nach Freiberg zu gucken.

An diesem Samstag steigt der erste Oberliga-Spieltag. Wie geht das Auftaktduell Ihres Rivalen aus?

Sbonias: Bissingen gewinnt gegen Reutlingen 3:1.

Garcia: Es ist immer eklig, in Backnang zu spielen. Ich tippe auf eine ganz enge Geschichte und einen Freiberger 2:1-Sieg.

 

Zur Person: Alfonso Garcia

Der „Alfo“ genannte Spanier gehört beim FSV 08 Bissingen zum Inventar. Seit 2013 zählt er am Bruchwald (wieder) zum Trainerstab. Abgesehen von den eineinhalb Jahren als Assistent von Andreas Lechner fungierte er dort stets als Chefcoach. Schon zwischen 2003 und 2008 war der in Valencia geborene Garcia bei den Nullachtern tätig, zu Beginn noch als Spielertrainer. Weitere Übungsleiter-Stationen waren die TSG Backnang (2009 bis 2011) und der SV Hellas 94 Bietigheim (Januar 2012 bis Januar 2013). Als Profi spielte er bei der Spvgg Unterhaching (1992 bis 2001) und beim SSV Reutlingen (2001 bis 2003), wo er jeweils auch zum Publikumsliebling avancierte. In seiner Vita stehen 22 Bundesliga- und 188 Zweitliga- Einsätze, bei denen er insgesamt 34 Tore erzielte. Garcia verfügt über die Trainer-A-Lizenz und lebt mit seiner Familie in Löchgau. Der 50-jährige Groß- und Außenhandelskaufmann ist verheiratet und hat zwei Töchter. ⇥ae

Zur Person: Evangelos Sbonias

Der „Laki“ genannte Grieche stieg erst nach drei Wochen Vorbereitung beim SGV Freiberg als Trainer ein – als Nachfolger für den geschassten Milorad Pilipovic. In der Spielzeit 2019/20 führte der 37-jährige Sbonias die TSG Backnang zur Verbandsliga-Meisterschaft und damit in die Oberliga zurück. Bereits im März hatte er seinen Abschied aus Backnang zum Rundenende bekannt gegeben, nach dann eineinhalb Jahren bei der TSG. Vor seiner Zeit im Rems-Murr-Kreis arbeitete der gebürtige Bietigheimer als Co-Trainer von Oliver Zapel bei den damaligen Drittligisten SG Sonnenhof Großaspach (2016/17) und Werder Bremen II (2017/18). Seine weiteren Stationen waren die erste und zweite Mannschaft des FV Löchgau in der Landesliga und der Bezirksliga sowie der FSV 08 Bissingen II (Bezirksliga). Sbonias verfügt über den A-Schein und wohnt in Bietigheim. Der selbstständige Versicherungsfachmann ist verheiratet und hat einen Sohn.⇥ae

 
 
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