Ein Bietigheimer in Shanghai Lockdown auf Chinesisch

Von Frank Ruppert
Zu sehen sind sogenannte „Community Workers“, die bei der Bekämpfung der Pandemie helfen. Unter ihnen sind auch Ärzte, Krankenpfleger sowie Militärangehörige. Sie sollen sicherstellen, dass alle Kommunen innerhalb Shanghais durchgetestet werden. Foto: privat

Mesut Dogan stammt aus Bietigheim-Bissingen, lebt aber seit Jahren in Shanghai. Der BZ berichtet er von dem harten Lockdown dort und warum ein positiver Test weitreichende Folgen hat.

Während in Deutschland immer mehr Corona-Beschränkungen fallen, sind Teile Chinas gerade wieder in einem Lockdown. „Ich sage meinen Freunden in Deutschland immer, dass ein Lockdown hier anders als bei ihnen ist“, erzählt Mesut Dogan. Der Bietigheim-Bissinger lebt seit 2016 mit Frau und zwei Kindern in Shanghai und ist derzeit in häuslicher Quarantäne. „Wir dürfen nicht vor die Tür“, erklärt er die Regelung. Nur um ein Carepaket eines städtischen Bediensteten anzunehmen oder zum Testen darf die Familie die eigenen vier Wände verlassen.

Seit dem 28. März herrsche absolute Ausgangssperre für alle Bewohner von Shanghai, alles sei geschlossen. Davor habe es vereinzelte Lockdowns auf Bezirksebene und in Stadtteilen gegeben. Teilweise seien Büroflächen oder Supermärkte für zwei bis sieben Tage samt Mitarbeitern oder Kunden dicht gemacht worden. „Wenn Sie also Pech hatten, waren Sie in einem Einkaufszentrum aufgrund eines Verdachtsfalles eingesperrt“, schildert Dogan.

Die gesamte Bevölkerung der 26-Millionen-Stadt wurde kürzlich auf Covid getestet. „Dass man es hier schafft, alle Menschen an einem Tag zu testen, ist bestimmt ein Rekord fürs Guinessbuch“, lacht Dogan. Der Familienvater hat trotz der anstrengenden Situation seinen Humor nicht verloren.

Selbst Kinder werden isoliert

Bei den Coronatests steht übrigens einiges auf dem Spiel. Auch wenn 80 Prozent der mittlerweile 80 000 positiv Getesteten in der Stadt keine Symptome aufweisen, wird jeder von ihnen wochenlang isoliert. „Da kommt man dann mit Tausenden anderen in Sporthallen oder Stadien unter, wo man sich nicht duschen kann und die Zustände eher andere Krankheiten begünstigen“, erklärt der 40-Jährige. Selbst positiv getestete Kinder würden von ihren Eltern wochenlang isoliert. Dagegen rege sich nun aber selbst unter den Chinesen Protest, sagt Dogan. Es gebe eine Petition, die sich gegen das Vorgehen richte.

Dogan, der 2008 im Rahmen des Studiums erstmals nach China kam und sich gleich in Land und Leute verliebte, hegt mittlerweile nach über zwei Jahre Corona auch Abwanderungsgedanken. Er sei nach China übergesiedelt, weil ihm die positive Stimmung und der Aufbruch in der Wirtschaft gefallen habe. Heute ist der diplomierte Wirtschaftsingenieur Geschäftsführer der Weltbild-Gruppe am Standort Shanghai. Dogan ist in Bietigheim-Bissingen aufgewachsen und hat das Ellental-Gymnasium besucht. Der Kurde berichtet regelmäßig Familien und Freunden im Landkreis von seinem Leben in China, bezeichnet sich selbst als Lokalpatriot. Ihm ist der Draht zur alten Heimat wichtig.

Grübeln wegen Beschränkungen

Daneben ist er aber nach wie vor  begeistert von Land und Leuten in Fernost, gerade von Shanghai schwärmt er: „Wir waren hier die letzten zwei Jahre eine der freiesten Städte der Welt“, sagt Dogan und meint die geringen Corona-Beschränkungen. Nach den anfänglichen Lockdowns vor Jahren habe man sich in Shanghai lange sehr frei bewegen können. Die neuerlichen Einschränkungen lassen ihn aber ins Grübeln kommen. Eine Rückkehr nach Bietigheim-Bissingen steht indes nicht an. Auch wenn er die Heimat liebt, wie er sagt, und bei Besuchen regelmäßig durch Bietigheim und Umgebung wandert, möchte er lieber innerhalb Asiens umziehen.

Menschenrechte in China

Noch bleibt er aber erstmal in Shanghai, schon weil er derzeit das Haus gar nicht verlassen darf. Seine beiden Kinder besuchen eine deutsche Schule und so bewege man sich zwangsläufig in einer Blase mit anderen Deutschen, die nur für ein oder zwei Jahre zum Arbeiten ins Land kommen. Dass die selbst wenig von Land, Leute und Kultur mitbekommen, findet er schade. Der 40-Jährige beherrscht die Landessprache so gut, dass er tägliche Konversationen führen kann. Sowohl deutsche Medien als auch chinesische konsumiere er.

Ein Fehler, der in Deutschland immer wieder gemacht werde, sei China als Ganzes zu sehen. „China ist eher ein Kontinent als ein Land“, sagt Dogan. Jede Provinz sei so selbstständig wie ein eigener Staat, und deshalb sei die Situation etwa in Shanghai nicht mit der in anderen Teilen Chinas zu vergleichen. In Europa sehr präsente und immer wieder angeprangerte Menschenrechtsverletzungen in China seien in Shanghai kaum Gesprächsthema. Nicht alle Menschen stünden hinter dem Staatssystem, aber die meisten profitierten davon. „Solange man selbst nicht betroffen ist von Nachteilen des Systems, lebt man sehr frei“, erklärt Dogan.

Eine andere Wahrnehmung gebe es in China auch zum Thema Corona. Noch versuche man, die Zero-Covid-Strategie durchzuhalten. Deshalb auch der aktuelle harte Lockdown, obwohl sich Omikron trotz Ausgangssperre weiter verbreitet. Dogan hofft, dass sich die harte Coronapolitik lockert, wenn Staatschef Xi Jinping beim Parteitag im Herbst auf Lebzeiten gewählt wird. Momentan müsse er besonders Stärke zeigen im Kampf gegen Covid, um das Gesicht nicht zu verlieren.

Wirtschaftlich treffe ihn in seinem Bereich E-Commerce der Lockdown noch nicht so sehr. Solange in anderen Provinzen Fabriken weiterliefen, tue das dem Geschäft keinen Abbruch. Privat hofft Dogan, weiterhin negativ zu bleiben und dass der Lockdown bald endet, damit er und seine Familie wieder zur Normalität zurückkehren können.

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