Grundsteuer-Erklärung „Man darf die Bürger nicht überfordern“

Von Uwe Mollenkopf
Sabine Knapp und Michael Fißler vom Verein Haus & Grund in Bietigheim-Bissingen warnen vor einer Überforderung der Bürger durch Ausschläge bei der Grundsteuer. Foto: /Oliver Bürkle

Erst das Ausfüllen der Steuererklärung, dann die Angst vor höheren Kosten. Die neue Grundsteuer treibt Eigentümer um. Die BZ hat mit Experten von Haus & Grund Bietigheim-Bissingen über Probleme, Fallstricke und Hilfestellungen gesprochen.

Ob sich der Bietigheim-Bissinger Gemeinderat schon mit dem Thema neue Grundsteuer befasst habe, wollte Erwin Singer in der Bürgerfragestunde bei der jüngsten Gemeinderatssitzung wissen. Der Grund: Singer, der sich aufgrund der Komplexität der Materie an einen Steuerberater gewandt hatte, hat von diesem Auskunft darüber erhalten, was er unter Anwendung des bisherigen Hebesatzes der Stadt bezahlen müsste, wenn 2025 die neue Grundsteuer-Regelung in Kraft tritt. Der Betrag würde, wie Singer den Stadträten schilderte, von bisher 118 Euro im Jahr auf über 1800 Euro klettern. Das sei das 15-fache des bisherigen Betrags, und in zehn Jahren wären dies 18 000 Euro, sagt der Rentner. Das sei „der absolute Hammer“, so Singer gegenüber der BZ.

Anstieg um das 15-fache

Ursache für die große Steigerung ist der Sachverhalt, dass das Ehepaar Singer ein Eigenheim mit großem Garten (über 820 Quadratmeter) hat. Und für die Gartenfläche gilt der gleiche Bodenrichtwert wie für die Gebäudefläche. Berechnet wird die Höhe der Grundsteuer aus dem Grundsteuerwert (Grundstücksfläche mal Bodenrichtwert), der mit der Steuermesszahl (für Grundstücke, die überwiegend zum Wohnen genutzt werden, 0,91 Prozent) und dem Hebesatz der Kommune (in Bietigheim-Bissingen 375 Prozent) multipliziert wird.

Probleme wie beim Ehepaar Singer kennt man auch beim 1250 Mitglieder starken Verein Haus & Grund Bietigheim-Bissingen, in dem private Haus-, Wohnungs- und Grundeigentümer organisiert sind. „Wir haben sehr viele Anfragen erhalten“, sagt die Vorsitzende Sabine Knapp. Und zwar nicht erst nach Erhalt der Bescheide, sondern schon vorher, als die Eigentümer aufgefordert wurden, ihre Grundsteuererklärungen abzugeben. Viele seien bereits mit dem Zugang zum Online-Portal ELSTER überfordert gewesen, sagt Knapp, über das die Formulare online ausgefüllt werden müssen. Es sei auch die Frage aufgekommen, warum man das überhaupt machen müsse. Die Finanzämter hätten doch alle Daten.

Aufgrund der Probleme wurde auch die Abgabefrist für das Grundvermögen (Grundsteuer B) auf den 31. Januar verlängert. Zum Glück habe man mit Steuerberater Michael Fißler, der als Schatzmeister bei Haus & Grund im Vorstand sitzt, einen ausgewiesenen Spezialisten bei der Hand gehabt, der Sprechstunden anbot, berichtet Knapp.

Für die Bevölkerung sei die Erklärungspflicht bei der Grundsteuer „eine ganz schöne heftige Aufgabe“ gewesen, weiß auch Fißler. Er vergleicht es mit einem „Parforceritt“. Zumal es teilweise sehr schwierig gewesen sei, die nötigen Daten zusammenzubringen. Manchmal seien auch Grundbuchangaben fehlerhaft. Der Ansturm in seiner Kanzlei sei so groß gewesen, dass er vier Mitarbeiter nach einer speziellen Schulung nur für diese Tätigkeit abstellte, berichtet Fißler. Rund 700 Fälle wurden bearbeitet. Eine Farce sei es, dass gleichzeitig Bund und Land für ihre Grundstücke immer noch keine Erklärungen fertiggestellt hätten.

Musterklagen laufen

Was nun die Auswirkungen betrifft, so weist der Steuerexperte darauf hin, dass es neue Bodenrichtwerte gebe und im Falle Bietigheim-Bissingens vor zwei Jahren auch die Hebesätze erhöht wurden. Dadurch werde es wohl für Besitzer von Einfamilienhäusern mit Gartengrundstücken teurer. Für andere könne es aber auch billiger werden. Zugleich betont Fißler aber auch, dass die ersten Bescheide, die die Eigentümer vom Finanzamt erhalten, die sogenannten Grundsteuerwertbescheide, noch nicht die endgültigen sind. „Wir haben noch keine Erfahrungswerte“, sagt er. Und: Es liefen auch zwei Musterklagen gegen die Grundsteuer B vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg, deren Ausgang es abzuwarten gelte. „Was dabei herauskommt, weiß kein Mensch“, so der Experte, die Unsicherheit sei groß. Er empfiehlt daher den Bürgern, Widerspruch gegen die Grundsteuerwertbescheide einzulegen. Das kann man allerdings nur innerhalb von vier Wochen nach dem Erhalt des Bescheids tun.

Von den Kommunen wünscht sich Sabine Knapp, mit der neuen Grundsteuer nicht mehr Einnahmen erzielen zu wollen als bisher – also gegebenenfalls die Hebesätze zu senken. Michael Fißler sagt, die Kommunen sollten „maßvoll und wirtschaftlich sinnvoll“ mit den Hebesätzen umgehen.

Auswirkungen auf Miete

Beide machen darauf aufmerksam, dass die neue Grundsteuer in eine Zeit fällt, in der die Bürger noch viele weitere Belastungen tragen müssten. „Man darf die Bürger nicht überfordern“, sagt Sabine Knapp. Das gelte im Übrigen nicht nur für die Eigentümer, sondern auch für die Mieter. Denn als Teil der Nebenkostenabrechnung kann die Grundsteuer auf Mieter umgelegt werden.

Der Bietigheim-Bissinger Gemeinderat hat indes noch nicht über die Thematik diskutiert, wie Oberbürgermeister Jürgen Kessing in Antwort auf die Frage Erwin Singers sagte. Man warte auf die Bescheide vom Finanzamt. Erst dann sei über den zukünftigen Hebesatz zu entscheiden. Was die Auswirkungen im Einzelnen betreffe, sei die Kommune allerdings der falsche Adressat.

 
 
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