Interview mit Chefin des Landesgesundheitsamts „Es braucht eine Stärkung des Gesundheitsdienstes“

Von Jürgen Kunz
Karlin Stark  leitet das Landesgesundheitsamt.⇥ Foto: privat

Die Freudentalerin Karlin Stark leitet das Landesgesundheitsamt. Im BZ-Interview verrät sie, wie eine zweite Corona-Welle vermieden werden kann.

Karlin Stark aus Freudental leitet das Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Im Gespräch mit der BZ erzählt die Ärztin von der Arbeitsbelastung, der Zusammenarbeit mit der Landesregierung und der Aussicht auf den kommenden Herbst.

Frau Dr. Karlin Stark, wie hat sich Ihre und die Arbeit des Landesgesundheitsamts in den vergangenen Wochen verändert?

Karlin Stark: Wie auch in den Gesundheitsämtern in den Land- und Stadtkreisen waren wir in den vergangenen Wochen, gar Monaten, schwerpunktmäßig mit der Corona-Pandemie beschäftigt. Unser Labor war eines der ersten im Land, das die Diagnostik etablierte und die Kapazitäten auch immer wieder erhöht hat. In unserem Bereich Epidemiologie laufen sozusagen die Fäden aus dem ganzen Land zusammen. Die Meldungen und Fragen aller Gesundheitsämter in Baden-Württemberg werden hier gebündelt, zusammengefasst und ausgewertet sowie an das RKI und das Ministerium weiter geleitet.

Welche Herausforderungen galt es außerdem zu bewältigen?

Wir mussten uns, wie viele andere Stellen auch, mit organisatorischen Thematiken auseinandersetzen – sei es bei Homeoffice als auch hinsichtlich Risikopersonen und Eltern, die ihre Kinder betreuen mussten, die bei uns arbeiten. So wurde im Regierungspräsidium Stuttgart, zu dem wir gehören, unter anderem die Arbeitszeitregelungen – beispielsweise hinsichtlich der normalerweise geltenden Rahmenarbeitszeit – entsprechend angepasst, um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Flexibilität zu ermöglichen.

War, beziehungsweise ist die Ausstattung Ihrer Behörde und die der Kreisgesundheitsämter ausreichend, um die aktuellen Pandemie-Anforderungen und möglicherweise künftige zu bewältigen?

Die umfangreichen Pflichtaufgaben der Gesundheitsämter, die aufgrund der Corona-Pandemie fast überall auf ein Minimum zurückgefahren wurden, zeigen, dass es eine weitere Stärkung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und eine Erhöhung bei den unbefristeten Mitarbeitenden braucht. Die Entscheidungsträgerinnen und -träger, unser Fachpersonal in den Ämtern, ist immer noch im erhöhten Arbeitseinsatz und bei einer hoffentlich nicht auftretenden, aber nicht auszuschließenden eventuellen zweite Welle erneut sehr stark gefordert. Viele Gesundheitsämter haben bereits an den Kapazitätsgrenzen oder darüber hinaus gearbeitet. Auch wir im Landesgesundheitsamt hatten sehr lange Arbeitstage und fast immer eine Sechs- oder Sieben-Tage-Woche

Wie bewerten Sie den aktuellen Verlauf der Infektionen?

Die aktuellen Entwicklungen sind erfreulich. Die gemeldeten Neuinfektionsraten sind anhaltend auf niedrigem Niveau. Wir beobachten seit Wochen jeden Tag mehr Personen, die wir als Genesene betrachten können, als Neuinfektionen. Die Anzahl der vermuteten ansteckungsfähigen Fälle ist kontinuierlich rückläufig. Die Sorge, die die bisherige Öffnung begleiteten, ist zum Glück bisher nicht eingetreten – aber natürlich sind wir weiterhin aufmerksam und schauen genau hin. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die erfreuliche Entwicklung anhält und die Hoffnung, dass eine zweite Welle vermieden werden kann, sich erfüllt. Hierfür ist es wichtig, sogenannten „Super-Spreader-Ereignisse“ zu verhindern.

Immer wieder wird jetzt die Gefahr einer „zweiten Welle“ befürchtet. Wie ist ihre Einschätzung?

Wenn wir es schaffen, die bereits erwähnten „Super-Spreader-Ereignisse“ zu verhindern, haben wir meiner Ansicht nach eine gute Chance, die zweite Welle zu verhindern. Dennoch sind alle Bürgerinnen und Bürger weiterhin gefragt, sich an die Vorgaben zu halten und die Hygienehinweise zu beachten. Dass wir relativ gut dastehen liegt eben auch daran, dass zügig Maßnahmen ergriffen wurden – und die Menschen im Land diese größtenteils sehr gut angenommen und umgesetzt haben.

Wie ist das Landesgesundheitsamt in die Entscheidungsfindung der Landesregierung Baden-Württembergs eingebunden?

Das Landesgesundheitsamt ist die fachliche Leitstelle für die Gesundheitsämter in Baden-Württemberg. Es hat die Aufgabe, die Gesundheitsämter, Ministerien und andere Behörden zu unterstützen und fachlich zu beraten. Da hatten wir wirklich alle Hände voll zu tun, seit Ende Februar der erste Fall in Baden-Württemberg gemeldet wurde. Und auch davor haben wir schon viele Anfragen aus dem ganzen Land bekommen – das Thema beschäftigt uns seit Januar. Unsere Aufgabe ist die Sichtung, Sammlung und Bewertung von Daten, sowohl regional als auch überregional. Wir bringen die fachlichen Argumente ein, die Entscheidungsgremien in ihre Entscheidungen einbeziehen. Hier muss ich ein großes Lob an unsere Landesregierung aussprechen, die in meiner Erfassung in Anbetracht des enormen Zeitdruckes und des schnellen Ablaufes der Ereignisse erfreulich überlegt und sinnvoll agiert.

Gibt es bereits Überlegungen oder gar Empfehlungen, wie man sich auf die im Herbst zu erwartende, jährliche Grippewelle vorbereitet?

Eine Impfung ist sehr wichtig, wir empfehlen diese als Landesgesundheitsamt. Insbesondere die  Risikogruppen sollten sich impfen lassen, um auf diesem Weg das Ausmaß einer möglichen Grippewelle zu reduzieren. Hierbei sollte sowohl die Grippeschutzimpfung, als auch die Impfung gegen Pneumokokken erwogen werden. Die Verhaltensänderungen, die im Rahmen der „Neuen Normalität“ durch die Corona-Pandemie gelten, reduzieren gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit der Übertragung von Grippeviren. Dies ändert jedoch nichts an der Bedeutung von Impfungen.

Welche Erfahrungen aus der Corona-Pandemie werden in die künftige Arbeit des Landesgesundheitsamts einfließen?

Das Grundprinzip des lebenslangen Lernens wird im Landesgesundheitsamt gelebt. Dort arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Akademikerinnen und Akademiker aus verschiedenen Fachbereichen – Biologinnen, Gesundheitswissenschaftlerinnen, Chemikerinnen, Arbeitsmedizinerinnen, Mikrobiologinnen, Fachärztinnen für öffentliches Gesundheitswesen, um nur einige zu nennen. Der Austausch und die fachliche Diskussion der verschiedenen Bereiche macht unsere Arbeit so praxisnah und wertvoll. Die Sinnhaftigkeit dieses Konzeptes hat sich erneut bewährt und wir werden auch künftig so arbeiten. Die virtuelle Zusammenarbeit – wenn Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice sind – war für viele neu und hat gut geklappt, auch wenn das beispielsweise im Labor nicht funktioniert.

Vielen Dank für das Gespräch.

 
 
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