Kinderbetreuung in Bietigheim-Bissingen Die Reserven sind aufgebraucht

Von Petra Neset-Ruppert
Eltern, die schnell wieder in ihren Beruf zurück müssen, stehen häufig vor dem Problem, dass sie keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder finden. Kurzfristig ausfallende Betreuungszeit erschweren die Planung für die Familien. Foto: /Julian Stratenschult/dpa

Verkürzte Öffnungszeiten, kurzfristige Gruppenschließungen und fehlende Betreuungsplätze bringen Eltern in Bietigheim-Bissingen an ihre Grenzen. Für viele wird der Balanceakt zwischen Arbeit und Familie immer schwerer. Manche Fachkraft kommt gar nicht erst zurück in den Beruf, weil die Kinder nicht betreut werden können.

Heute muss unsere Kita leider geschlossen bleiben.“ Dieser Satz lässt bei Eltern alle Alarmglocken läuten, denn es bedeutet, dass innerhalb kürzester Zeit der komplette Alltag inklusive Arbeit umgeplant werden muss. In Bietigheim-Bissingen berichten viele Eltern, dass der Balanceakt zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt sehr kräftezehrend sei und zunehmend schwieriger werde.

„Meine Reserven sind aufgebraucht“, erzählt Ornella Nath, Mutter von zwei Kindern und Ingenieurin bei Valeo. Eigentlich sind ihre Kinder für eine tägliche Sieben-Stunden-Betreuung angemeldet, aber seit Monaten wurde die Betreuung auf sechs Stunden reduziert. „Damit fehlen uns einfach fünf Stunden die Woche. Mein Mann und ich müssen morgens oder abends noch die Arbeitsstunden dranhängen. Das kostet Kraft“, sagt die Ingenieurin. Nath fühlt sich von der Politik und der Stadtverwaltung alleingelassen: „Was helfen würde, wäre ein Verdienstausfall, wenn im Kindergarten die Betreuung ausfällt. Vielleicht tut sich dann schneller etwas, wenn es richtig Geld kostet, wenn die Kinderbetreuung nicht zuverlässig stattfindet.“ An den Erzieherinnen liege es jedenfalls nicht, so Nath. In ihrer Kita hätten bereits einige ihre Teilzeitstelle aufgestockt, um die Betreuung noch aufrecht erhalten zu können.

An 143 Tagen verkürzte Öffnung

Von 250 Stellen in den Kitas seien derzeit 18 Stellen unbesetzt, heißt es aus dem Presseamt der Stadt. In diesem Jahr hatten 17 von 26 Einrichtungen an 143 Tagen die Öffnungszeit verkürzt. In drei Einrichtungen wurden an acht Tagen die Gruppen komplett geschlossen. In vier Einrichtungen wurden die Öffnungszeiten längerfristig gekürzt (Stand 22. Juni). „Engpässe sind in den letzten Monaten auch aufgrund vieler Krankheitsfälle aufgetreten, die sich bei Häufung oft nicht vollständig durch Aushilfskräfte ausgleichen lassen“, so die Mitteilung des Presseamts. Zudem habe die Stadt eine umfassende Personal- Marketingkampagne in Auftrag gegeben, die sich derzeit noch am Anfang befinde. „Einstellungen finden auch statt, was aber angesichts der Öffnung eines neuen Kinderhauses nicht überall sofort spürbar wurde“, erklärt Anette Hochmuth vom Presseamt.

„Die Eltern haben einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung, sobald das Kind ein Jahr alt ist, und das passend zu ihren Arbeitszeiten. Warum sollten Eltern dann keinen Rechtsanspruch auf die Einhaltung dieser Betreuungszeiten haben?“, fragt sich Nath mit Blick auf die ausgefallenen Betreuungsstunden. Sie und ihr Mann haben nun eine Reduktion der Arbeitszeit beim Arbeitgeber beantragt. Es ginge nicht mehr anders. Nach Meinung von Inke König, Kreisvorsitzende der GEW Ludwigsburg, wurde die jetzige Situation durch Fehler der Politik verursacht, die in der Vergangenheit versäumt habe, Kitaplätze auszubauen und Erzieherinnen zu gewinnen. Dennoch könnten weder die Kommunen noch die Schulen weitere Fachkräfte einstellen, wenn diese aktuell nicht verfügbar sind. Umso wichtiger sei es für die Zukunft, „das bestehende Personal zu binden, zu unterstützen und zu fördern“. Ein mögliches Mittel, um das Fachpersonal in Kitas zu entlasten, sei die Kürzung der Öffnungszeit, um dem Personal und den Kindern gerecht zu werden. Auch die Entlastung der Kitaleitung von fachfremden Tätigkeiten wie zum Beispiel in der Administration sei eine Möglichkeit.

Für Birgit Schwarz, Mutter von drei Kindern, sind der Betreuungsplatzmangel und auch die reduzierten Öffnungszeiten ein großes Problem. „Ich habe meinen Job verloren, weil ich für mein zweites Kind keinen Betreuungsplatz bekommen habe.“ Sie ist frustriert, dass in der aktuellen Situation nicht nach kreativen Lösungen gesucht werde, denn an den fehlenden Fachkräften werde sich auch in naher Zukunft nichts ändern. „Wir Eltern hatten ja angeboten für eine zusätzliche Betreuungsstunde pro Tag in den Randstunden mitzuhelfen“, erinnert sich Schwarz. Vorschläge von Seiten der Elternschaft „wurden auch immer von der Stadt abgeblockt, denn das sei aus rechtlichen und versicherungstechnischen Gründen nicht möglich“, erklärt Heike Sauerland, die sich als Elternbeirätin engagiert. Hierzu erklärt das Presseamt: „Dies wird von uns grundsätzlich abgelehnt, insbesondere auch um Interessenskonflikte zu vermeiden. Ausnahmen kann es beispielsweise bei der Begleitung von Eltern bei Kita-Ausflügen geben. Eltern, die aushelfen möchten, können sich jedoch bei der Stadt als Aushilfskraft bewerben. Ein Einsatz in der Kita des Kindes erfolgt jedoch nicht.“

Lange Warteliste

Neben den Eltern, die den Alltag rund um die Kinderbetreuung jonglieren müssen, gibt es auch die Eltern, die gerne in den Beruf zurückkehren würden, allerdings keine Betreuung für ihren Nachwuchs finden. „Die Warteliste beträgt derzeit 162 Plätze im U3-Bereich und 120 Plätze im Ü3-Bereich (Stand 22. Juni). Die Verhältnisse ändern sich durch Zu- und Wegzüge sowie die Eröffnung neuer Kitas immer wieder. Wir schaffen durch Neu- und Umbauten in den Jahren 2020 bis 2025 rund 430 neue Plätze (knapp 50 Prozent sind bereits verfügbar), benötigen dafür auch rund 50 weitere Fachkräfte“, erklärt Anette Hochmuth vom Presseamt.

Auch Jasmin Sentek gehört zu den Eltern, die in diesem Jahr keinen Betreuungsplatz erhalten haben: „Wir hatten das Problem schon einmal mit meinem Sohn, als er ein Jahr alt war, habe ich keinen Platz bekommen und wurde an die Kindertagespflege verwiesen.“ Nun bei ihrer Tochter hat sie erneut über die Stadt keinen Betreuungsplatz erhalten. „Mein Sohn ist in einer Einrichtung, in der auch Einjährige betreut werden können, deshalb hatten wir gehofft, unsere Tochter jetzt auch dort unterbringen zu können.“ Doch das klappte nicht.

Wenn sie sich nun für eine Betreuung in einem Kindernest entscheide und um einen Platz bemühe, bedeutet dies für Jasmin Sentek eine doppelte Belastung: „Zwei Kinder an unterschiedliche Einrichtungen zu bringen, bedeutet für mich einen großen Zeitverlust. Da bleibt dann nicht mehr so viel Arbeitszeit übrig.“ Das Vergabesystem der Verwaltung führe auch zu viel Frust: „Alles muss angegeben werden, und dann hat es nachher doch keinen Einfluss darauf, ob man einen Platz bekommt oder nicht.“ Die Familie Sentek steckt in einem zusätzlichen Dilemma: Finden sie einen Betreuungsplatz für die Tochter, verlieren sie ihren Warteplatz bei den städtischen Kitas. „Dabei brauche ich den Platz für meine Tochter in der gleichen Einrichtung, in der mein Sohn auch ist“, sagt Sentek.

Sie hat wenig Hoffnung, dass sie ihre Tochter dann noch in einer städtischen Einrichtung unterbringen könnte, bevor diese drei Jahre alt wird. „Unter diesen Umständen ist es wirklich schwer, einen Alltag zu managen. Ich weiß nicht, wie ich zurück in die Arbeit kommen soll“, erklärt Sentek.

 
 
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