Kreis Ludwigsburg Erst Helfer gegen die Taliban, dann allein auf weiter Flur

Von Frank Ruppert
  Foto: Imago/Alexander Pohl

Ein Afghane, der westlichen Truppen im Kampf gegen die Taliban half, versucht seit Langem seine Familie zu ihm in den Raum Ludwigsburg zu holen. Eine Tochter hat das Terrorregime wohl schon getötet. Deutschland hat sich eigentlich die Hilfe eben solcher Familien auf die Fahne geschrieben, seit Jahren geschieht aber nichts.

Wie viele Kinder haben Sie?“ Diese einfache Frage bringt den gestandenen 50-Jährigen zum Weinen. Amir (Name geändert) ist Afghane und seit Jahren im Raum Ludwigsburg beheimatet. Seine Familie ist immer noch in Afghanistan und dort keineswegs sicher. Amir war in Afghanistan in der Armee, hatte es bis zum Rang des Majors gebracht.

Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er Nato- beziehungsweise ISAF-Soldaten unterrichtet und ihnen die Geografie seines Heimatlands im Kampf gegen die Taliban näher gebracht. Dann hatten es die Taliban auf ihn abgesehen. Zunächst luden sie ihn ein, sich ihnen anzuschließen. Das wollte er nicht: „Die Taliban und ich sind anderer Meinung“, drückt sich der Mann vorsichtig aus. „Die stehen nicht für den wirklichen Islam. Denn man darf nicht einfach Menschen umbringen“, sagt er. Als die Taliban ihn wieder kontaktieren wird er mit dem Tod bedroht.

Beschwerlicher Weg nach Europa

Für ihn war dann klar, dass er das Land verlassen muss. Ohne seine Familie. „Der Weg ist sehr beschwerlich“, erklärt er. In einem Winter hat er sich über Pakistan, Iran und die Türkei auf den Weg gemacht nach Europa. Allein, denn die Strapazen wollte er seiner Familie nicht zumuten. So musste er sich einmal unter einen Bus klemmen, um über eine Grenze zu kommen.

Im Raum Ludwigsburg hat er eine neue Heimat gefunden und Unterstützer. Sein Arbeitgeber freut sich über den tatkräftigen neuen Mitarbeiter, mittlerweile „gehört er zur Familie“, sagt sein Chef, Prokurist eines mittelständischen Unternehmens im Raum Ludwigsburg.

Seit 2016 ist er im Betrieb, und spätestens mit Rückzug der Amerikaner aus dem Land Ende August 2021 ist das Thema des Familiennachzugs noch mal eine Stufe drängender als zuvor. „Ich habe schon mit so vielen Stellen telefoniert“, erzählt Amirs Chef. Das Unternehmen hat sich stark seines Mitarbeiters angenommen, sein Gehalt aufgestockt und eine Wohnung besorgt, in der Platz für eine Familie ist. „Wir haben alles getan, um den Familiennachzug zu ermöglichen. Umso ärgerlicher ist es, dass wir von den Behörden keine Rückmeldung erhalten“, sagt Amirs Chef.

Ortskräfte, also Afghanen, die den deutschen Behörden geholfen haben und deswegen gefährdet sind, sollen zu ihrer Sicherheit in Deutschland aufgenommen werden. „Für diese Menschen trägt Deutschland eine besondere Verantwortung. Deshalb ermöglicht die Bundesregierung Aufnahmezusagen für ehemalige Ortskräfte und unterstützt sie mit einer sicheren Ausreise aus Afghanistan“, heißt es beim Auswärtigen Amt. Dass auch Amir darunter fällt, wird bei folgendem Hinweis klar: „Wie für eigene Ortskräfte übernimmt Deutschland auch für Ortskräfte von EU und Nato sowie internationaler Organisationen seinen Teil der Verantwortung.“ Auch die Familien der Kräfte sollen über das besondere Programm nach Deutschland kommen können.

Tochter wurde von Taliban verschleppt

Damit wären wir wieder bei der Frage vom Anfang. Amir kann seine Tränen nicht verbergen, wenn er über seine Kinder und seine Frau spricht. Weil die Taliban wissen, dass er für westliche Streitkräfte tätig war, können sie nicht in Sicherheit leben. „Ich hatte fünf Kinder, jetzt aber nur noch vier“, sagt Amir. Seine zweitälteste Tochter (18) wurde von den Taliban verschleppt. „Wissend, was die Taliban mit Mädchen anstellen, hofft er mittlerweile, dass sie tot ist“, sagt Amirs Chef.

Amirs ältester Sohn wurde schon mehrmals von den Taliban zum angeblichen „Wehrdienst“ abgeführt, verhört und gefoltert. Amirs Frau nimmt das alles so mit, dass sie schon mehrere Nervenzusammenbrüche hatte und behandelt werden musste. „Für ihn ist es das Schlimmste, dass er hier ist und nichts machen kann“, sagt Amirs Chef. Alle Versuche, seine Familie nachzuholen oder auch nur Auskunft zu erhalten, wann das geschehen könnte, sind bislang ergebnislos verpufft.

Auch Fabian Gramling (CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Neckar-Zaber) hat sich über seine Kanäle eingeschaltet und versucht herauszufinden, wie es mit den Chancen der Familie auf Nachzug aussieht. Sogar der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen schaltete sich zwischenzeitlich ein. „Das einzige, das wir vor genau einem Jahr herausfinden konnten, war, dass die Familie wohl auf einer Liste für die Visa-Beantragung bei der Botschaft in Islamabad steht“, sagt Gramling. Wegen der Lage in Afghanistan derzeit kann man nur in Pakistan oder Neu-Delhi Visa für Deutschland beantragen.

Für Amir ist die ganze Geschichte schwer zu verdauen, und auch sein Chef hat sich schon mehrmals über die Behörden geärgert. „Ich verstehe einfach nicht, warum es nicht vorwärts geht“, sagt er. Die Sachlage sei eindeutig. Er legt die Drohschreiben der Taliban mit Übersetzung vor und zeigt auch Fotos, auf denen Amir in Militäruniform zu sehen ist, wie er westlichen Soldaten in einem Schulungsraum etwas erklärt und von ihnen belobigt wird.

Gramling startet Petitionzur Unterstützung

Im Dezember nun hat Gramling einen weiteren Versuch gestartet, die Visa für die Familie zu erhalten. Er hat eine Petition an den Deutschen Bundestag gestartet. „Das hat in anderen Fällen schon geholfen, und nach wenigen Monaten kam dort dann Bewegung in die Sache“, erklärt Amirs Chef die Vorgehensweise.

Eine weitere Entwicklung gibt Amir zudem Hoffnung. Laut seiner Rechtsanwältin könnte er, weil er schon so lange hier ist, die Chance haben, seine Familie auf dem normalen Weg herzuholen. Denn er kann nun seine Niederlassungserlaubnis beantragen und die ermöglicht auch den Familiennachzug. Dann wäre der reguläre Weg am Ende schneller als die Nothilfe für Menschen in Gefahr.

 
 
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