Kreis Ludwigsburg Vor 50 Jahren blieben die Motoren kalt

Von Martin Hein
Biick auf die Autobahn bei Pleidelsheim am 25. November 1973: ein Spaziergänger allein auf weiter Flur. Foto: /BZ-Archiv/ad

Am 25. November 1973 war der erste von vier so genannten „Autofreien Sonntagen“. Autofahren war verboten und Heizungen wurden heruntergedreht. Grund war die Ölkrise.

Es waren zweifelsohne höchst unruhige Zeiten im Herbst 1973. Zwischen Israel und Ägypten tobte der sogenannte Jom-Kippur-Krieg und die Ölpreise gingen, salopp ausgedrückt, durch die Decke.

Am 18. Oktober 1973 war in unserer Zeitung zu lesen, dass die Ölstaaten am Persischen Golf eine Erhöhung ihres Rohölpreises um 17 Prozent beschlossen hatten. Zeitgleich hatten die OPEC-Staaten die Fördermenge um fünf Prozent gedrosselt – mit fatalen Folgen. Die arabischen Länder hatten Ende Oktober 1973 einen Öl-Boykott gegen die Niederlande verhängt. Dort wurden umgehend harte Verkehrsbeschränkungen verkündet und Sonntagsausflüge mit dem Auto ab sofort verboten.

Ölstaaten drehen den Ölhahn zu

Nach dem Lieferboykott gegen die Niederlande verteuerten sich Öl und Benzin abermals in Deutschland. Allgemein wurde die Rationierung von Heizöl erwartet. Es kehrte keine Ruhe ein.

Am 6. November vermeldete unsere Zeitung, dass die Araber den Ölhahn für westliche Staaten weiter zudrehen und eine weitere Drosselung der Ölförderung um 25 Prozent beschlossen hatten. Die arabische Politik treibe Europa in eine ernste Versorgungskrise, hieß es. Angesichts der drohenden Energiekrise beschloss die Bundesregierung unter Bundeskanzler Willy Brandt ein Öl-Notstandsgesetz. Die Regierung rief zum Sparen von Benzin und Heizöl auf. Benzinkanister waren plötzlich heiß begehrt, Hamsterkäufe führten auch bei Kohle zu Lieferengpässen. Europaweit rationierten immer mehr Länder Treibstoff. Wer Heizöl hamsterte, musste mit Geldbußen von bis zu 50 000 D-Mark (etwa 25 000 Euro) rechnen.

Heizungen heruntergedreht

Am 10. November berichtete unsere Zeitung, dass die Heizungen in den Landesministerien in Stuttgart auf Sparflamme gestellt wurden. Der Öl-Nachschub ging unterdessen immer weiter zurück. Der Mineralölkonzern Esso schränkte Mitte November die Lieferungen an Tankstellen ein. Zahlreiche Tankstellen verkauften ab 16. November nur noch 20 bis 25 Liter pro Pkw. Bei den steigenden Heizölpreisen verteuerte sich das Heizen bis zu 100 Prozent. Am 17. November 1973 wurde verkündet, dass ein Sonntags-Fahrverbot ab dem 25. November 1973 beschlossen wurde.

Die sogenannte Ölkrise hatte spätestens jetzt auch unmittelbare Folgen auf lokaler Ebene. Der Kirchheimer Gemeinderat beschloss in seiner Sitzung Mitte November 1973, wegen der Energiekrise einstimmig die Gemeindehalle und Sporthalle zwischen Weihnachten und Neujahr zu schließen, ferner wurden die Heizungen in öffentlichen Gebäuden heruntergedreht.

Ganz offiziell wurde nun verkündet, dass an insgesamt vier Sonntagen die Benutzung von Motorfahrzeugen aller Art generell verboten werde. Die Regelung sollte vom 25. November 1973 bis Weihnachten 1973 gelten. Außerdem wurde ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf Autobahnen und 80 Stundenkilometern auf anderen Straßen verhängt. Die Gaststätten rechneten vor allem in Naherholungsgebieten wegen der autofreien Sonntage mit Umsatzeinbußen.

Sonntagsfahrverbot verordnet

Das sogenannte Sonntagsfahrverbot wurde in Form einer Verordnung im Bundesgesetzblatt am 23. November in Kraft gesetzt. Darin wurde festgelegt, dass am 25. November, 2., 9. und 16. Dezember 1973 Kraftfahrzeuge, Wasserfahrzeuge mit Maschinenantrieb und motorgetriebene Luftfahrzeuge in der Zeit von 3 Uhr bis jeweils 3 Uhr des folgenden Tages nicht benutzt werden. Von dieser Regelung waren Fahrzeuge des Rettungsdienstes, Zivilschutzes und Katastrophenschutzes ausgenommen. Öffentliche Verkehrsmittel, also Taxis und der Linienverkehr sowie die Bundesbahn waren ebenfalls vom Fahrverbot befreit.

Am Sonntag, 25. November 1973, war es so weit. Rund 29 000 Arbeiter waren im Landkreis Ludwigsburg von dem Sonntagsfahrverbot betroffen. Es herrschte gespenstische Stille auf den Straßen. Angesichts der wie leer gefegten Straßen war sogar von einem „Jahrhundertereignis“ die Rede. Die Mehrheit war, wie in der Ausgabe vom 26. November 1973 in unserer Zeitung zu lesen war, mit dem Fahrverbot voll und ganz einverstanden. Am Sonntag blieben die Motoren kalt, lautete damals die Überschrift. Der Pächter des Bietigheimer Parkhotels zeigte sich einfallsreich und organisierte eine Pferdekutsche, die als Taxi für seine Gäste fungierte. Rein optisch machte sich das Fahrverbot beim Blick auf die komplett leere Autobahn am stärksten bemerkbar. Doch nicht überall konnte man dem Fahrverbot Positives abgewinnen. Die Hotels und Gaststätten, auch im Landkreis, klagten über einen spürbaren Umsatzrückgang. Das Schlosshotel Monrepos verzeichnete einen Umsatzrückgang von 90 Prozent, das Bietigheimer Parkhotel hatte trotz Kutschen-Taxi 70 Prozent weniger Gäste, Tripsdrill meldete 75 Prozent weniger Gäste. Die Polizei kritisierte zu viele Ausnahmen beim Sonntags-Fahrverbot. Einsetzende Schneefälle und Straßenglätte sorgten in den nächsten Tagen teilweise für Verkehrschaos. Für den zweiten autofreien Sonntag kündigte die Polizei verstärkte Kontrollen an und wies darauf hin, dass bereits das Vergessen des Führerscheins mit 80 Mark (40 Euro) geahndet werde.

Mit der Kutsche nach Sachsenheim

Am 2. Dezember kehrte erneut gespenstische Stille auf den Straßen ein. Lothar Späth, damals Bietigheimer CDU-Landtagsabgeordneter und Chef der Landtagsfraktion, kam mit einer Kutsche zu einer Veranstaltung in Sachsenheim. „Ich kann doch nicht über Energieprobleme diskutieren und mit einem 200 PS-Fahrzeug vorfahren“, meinte der Abgeordnete und bestieg „fest verpackt“ die Kutsche, die aus dem Reitstall „Wohlauf“ aus Bissingen stammte. Ein weiterer Mitfahrer auf dem Ein-PS-Gefährt war Pressesprecher Matthias Kleinert, dem diese Umstellung wie unsere Zeitung meldete, etwas zu schaffen machte.  Am 16. Dezember 1973 war der letzte Sonntag, an dem die Fahrzeuge nicht fahren durften.

Ob das Sonntagsfahrverbot tatsächlich eine nennenswerte Energieeinsparung gebracht hat, darüber sind sich die Experten uneinig. Aber die Bevölkerung wurde für das Thema Energieeinsparung und Energieverbrauch sensibilisiert – und das war durchaus auch ein Ziel dieser Aktion.

 
 
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