Kreis Ludwigsburg Warum die Apotheken kränkeln

Von Jürgen Kunz und John Patrick Mikisch
Das rote Apotheken-A steht für Hilfe bei Krankheit und kleinen Wehwehchen. Viele Apotheken benötigen aber selbst Unterstützung. Ihre Zahl hat 2023 einen neuen Tiefstand erreicht. Foto: /Oliver Bürkle

17 939 Apotheken gibt es in Deutschland, ein historischer Tiefstand. Woran liegt das? Und wie beurteilen Apotheker im Kreis Ludwigsburg die Situation?

Der Deutsche Apothekerverband (DAV) schlägt Alarm: Angesichts der stetig fallenden Apothekenzahl und eines gesunkenen Betriebsergebnisses pro Apotheke fordert der DAV die Politik auf, die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch eine angemessene Vergütung der rund 18 000 Apotheken in Deutschland auch in Zukunft sicherzustellen. Die Bietigheimer, Sachsenheimer, Bönnigheimer Zeitung hat bei Apotheken im Kreis nachgefragt.

Oliver Zaubitzer von der Stadtapotheke in Bönnigheim sieht eher positive Zukunftschancen für seine Apotheke am Marktplatz: „Es gibt einen stark wachsenden Markt, auch weil rund 250 Apotheken bundesweit im Jahr schließen.“ Nach seiner Einschätzung geht diese Konzentration in den nächsten Jahren weiter, da nach seinen Informationen 40 Prozent aller Apothekenleiter älter als 55 Jahre sind.

„Die Versorgungssicherheit ist schon schlimm, aber wir bekommen es meist hin“, sagt Zaubitzer. Mit viel Aufwand finde man eine Lösung, aber der Patient müsse auch mitmachen. Der Bönnigheimer Apotheker gibt ein Beispiel aus der Praxis: „In der vergangenen Woche hatten wir Notdienst. In der Zeit zwischen 24 und 8 Uhr wurde meine Frau vier Mal angerufen, wegen bestimmten Antibiotikasäften.“ Da wäre eine eine Absprache von Arzt und Apotheker wichtig, konstatiert er.

Rund zehn Prozent der Lagerartikel fehlen ihm zurzeit und seien auch aktuell nicht zu bekommen. Er schätzt, dass er rund 20 Stunden in der Woche zusätzlich für die Medikamentenbeschaffung aufwenden muss – „damit ist eine Halbtagskraft komplett beschäftigt“.

Oliver Bonczkowski von derMetter-Apotheke in Kleinsachsenheim schlägt hingegen Alarm. „Die Situation ist katastrophal, und zwar seit vielen Jahren“, sagt der 59-Jährige. Seit 2003 betreibt er seine Apotheke in der kleinen Gemeinde. 95 Prozent seiner Kunden sind Stammkunden.

Bonczkowskis Hauptkritikpunkt: die Vergütung. „Wenn ein Patient ein Rezept einlöst, erhält der Apotheker dafür Fixhonorar von 8,35 Euro. Das ist praktisch eine Dienstleistungspauschale und wesentlicher Einnahmeteil der Apotheker. „Das Fixhonorar ist seit zehn Jahren gleich“, sagt Bonczkowski. „Alles andere ist aber teurer geworden.“ Mehr noch: „Bei gesetzlich versicherten Kunden müssen wir den Kassen noch einen Apothekenabschlag von 1,77 Euro zurückerstatten“, erläutert Bonczkowski. Zum 1. Februar erhöhte das Bundesgesundheitsministerium diesen Abschlag bis 31. Januar 2025 auf 2 Euro.

Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) fordert daher, das Fixhonorar auf zwölf Euro zu erhöhen. Eine Forderung, hinter der sicher viele Apotheker stehen. „Man könnte aber auch einmal darüber diskutieren, den Apothekenabschlag zu streichen“, schlägt Bonczkowski vor. Hauptsache, es komme eine Entlastung.

Denn gerade für kleine und mittlere Apotheken werde es finanziell immer enger. Das Problem: Die sind nicht so umsatzstark wie ihre großen Konkurrenten, sind aber gesetzlich verpflichtet, denselben Grundansprüchen zu genügen, beispielsweise ein eigenes Labor vorzuhalten. „Da habe ich als kleine Apotheke dieselben Kosten wie eine große, aber viel geringere Einnahmen“, erläutert Bonczkowski. Das drückt auf die Gewinnmarge. Geld, das ihm nicht nur im eigenen Portemonnaie fehlt, sondern auch im Betrieb: „Um Personal für eine kleine Dorfapotheke zu finden, muss man übertariflich zahlen. Sonst kommt niemand“, sagt Bonczkowski. „Aber wovon sollen kleine und mittlere Betrieb das Geld nehmen?“, fragt er.

Die geringeren Gewinnaussichten wirkten sich auch langfristig aus: „Als Nachwuchsapotheker bekommen Sie gar keinen Bankkredit mehr, wenn Sie eine kleine Apotheke übernehmen wollen.“ Umgekehrt heißt das aber auch, dass die derzeitigen Inhaber weniger profitabler Apotheken diese nicht mehr verkaufen können. „Da bleibt Ihnen am Ende nur eins übrig: Medikamentenvorrat verkaufen, die Mitarbeiter entlassen und den Schlüssel umdrehen“, sagt Bonczkowski. „Wieder eine Apotheke weniger.“

Gabriele Melzow von der Apotheke im Buch in Bietigheim-Bissingen bemüht sich darum, positiv zu bleiben. „Apotheken sind ein niedrigschwelliges Angebot zur Gesundheitsversorgung der Bevölkerung“, sagt sie. „Ich sehe jeden Tag, dass wir gebraucht werden.“ Das habe sich nicht verändert, seitdem sie 1995 die Apotheke im Buch übernommen habe.

Die Herausforderungen seien in den vergangenen Jahren aber deutlich gestiegen. „Wir leiden allesamt unter Personalmangel, egal wie groß der Betrieb“, sagt sie. Dafür gebe es mehrere Gründe: „Heute wollen viele flexibel arbeiten und gerne auch im Homeoffice“, erläutert sie. „Das geht bei einer Apotheke einfach nicht.“

Zum anderen hätten es Apotheken selbst bei übertariflicher Bezahlung schwer, mit den besseren Gehältern in der Industrie mitzuhalten.

Ein dritter Punkt sei die Kinderbetreuung. „Alle meine Angestellten sind Frauen, die in Teilzeit arbeiten“, erzählt Gabriele Melzow. Damit das im Alltag reibungslos funktioniert, muss es ausreichend Kita-Plätze geben. Gerade für junge Mütter sei eine Kinderbetreuung wichtig, um überhaupt arbeiten zu können.

Und Arbeitskräfte brauche sie gerade dringender denn je, wie Gabriele Melzow betont. Der Grund: die Versorgungsengpässe bei Arzneimitteln. Während sich die Lage bei den Fiebersäften für Kinder etwas entspannt habe, sei die Situation bei den Antibiotika dramatisch. „Das wird sich auch so schnell nicht ändern“, ist sich Gabriele Melzow sicher. Bisher sei es aber immer gelungen, alle Kunden zu versorgen. „Wir Apotheker in Bietigheim sind gut vernetzt und helfen uns gegenseitig, wenn irgendwo etwas fehlt.“

Der organisatorische und zeitliche Aufwand sei jedoch hoch. „Dafür geht momentan zehn Prozent unserer Arbeitszeit drauf“, schätzt die Apothekerin. Eine Mitarbeiterin sei allein mit den telefonischen Anfragen beschäftigt. Das müsse entsprechend vergütet werden.

Generell bräuchten die Vorort-Apotheken verlässliche Rahmenbedingungen, um langfristig bestehen zu können. „Da ist die Politik sehr stark gefragt“, sagt Gabriele Melzow.

 
 
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