Land will Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln Autofahren soll unattraktiver werden

Von Uwe Mollenkopf
Ein Spillmann-Bus unterwegs in der Bissinger Straße in Untermberg. Das Land will beim ÖPNV Gas geben. Foto: Martin Kalb

Das Land will die Fahrgastzahlen bis 2030 verdoppeln. Tobias Hähnle von Spillmann hält das für möglich, ein Kernproblem ist aber die Finanzierung.

Lange wurde daran gefeilt, am 10. Mai wurde nun die ÖPNV-Strategie 2030 des Landes Baden-Württemberg im Kabinett beschlossen. Sie fußt auf einem Beteiligungsprozess unter Hinzuziehung der „ÖPNV-Zukunftskommission“, eines Expertengremiums aus rund 20 Vertretern der Stadt- und Landkreise, der Verkehrsunternehmen, der Verkehrsverbünde, des Fahrgastverbands, der Gewerkschaften und der Wissenschaft.

Das formulierte Ziel ist es, die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis 2030 zu verdoppeln. Dies stelle einen zentralen Baustein zur Erreichung der Klimaschutzziele dar, so das Land. Zur Umsetzung werden 130 Maßnahmen genannt. Ein wichtiges Element ist eine Mobilitätsgarantie, wonach alle Orte von 5 bis 24 Uhr mindestens alle 15 Minuten in städtischen und alle 30 Minuten in ländlichen Räumen mit dem ÖPNV angebunden sein sollen.

Beim Land spricht man
von einem Kraftakt

Beim Landesverkehrsministerium spricht man von einem „durchaus ambitionierten Ziel“, das „als gemeinsamer Kraftakt“ erreicht werden könne. Dabei sind auch die Landkreise als ÖPNV-Aufgabenträger gefragt. Für diese hat der Präsident des Landkreistags, Landrat Joachim Walter (Tübingen), erklärt, die Landkreise unterstützen die ÖPNV-Ausbauziele des Landes und seien bereit, ihren Beitrag zu leisten. Er betont aber, dass die Finanzierungsverantwortung beim Land liege.

Und wie sieht man auf der Ebene der Verkehrsunternehmen das Thema? Tobias Hähnle, zuständig für ÖPNV-Planung und Qualitätsmanagement beim Bietigheim-Bissinger Busunternehmen Spillmann, weist darauf hin, dass das Ziel, die Fahrgastzahlen zu verdoppeln, schon früher formuliert wurde. Bemerkenswert sei, dass es trotz der Probleme des ÖPNV durch die Corona-Krise aufrechterhalten wurde. Er hält es für „ein ambitioniertes, aber nicht unrealistisches Ziel“. Voraussetzung sei aber, dass dafür auf allen politischen Ebenen die Weichen entsprechend gestellt würden.

Zum einen müsse der ÖPNV dazu attraktiver werden, fordert Hähnle. Dazu gehörten Dinge wie bessere Takte oder schöne Haltestellen. Zum anderen müsse der motorisierte Individualverkehr unattraktiver gemacht werden. Zum Beispiel durch die Erhebung von Parkgebühren, ein Thema das in Bietigheim-Bissingen, wo man an vielen Stellen umsonst parken kann, schon öfters im Gemeinderat diskutiert wurde. Der Experte weiß, dass dabei noch andere Überlegungen wie insbesondere der Einzelhandel eine Rolle spielen, meint aber, dass nur dann mehr Leute vom Auto auf den Bus umsteigen, wenn sie dies auch am Geldbeutel spüren. In Kombination mit dem Stadtticket, welches das Busfahren billiger macht, könne dies funktionieren.

Ein weiteres Thema, um den Busverkehr attraktiver zu machen, sind Busspuren. „Damit der ÖPNV künftig auch hier schneller ans Ziel kommt, braucht es zum Beispiel spezielle Ampelschaltungen, die Busse und Bahnen schneller ab- oder durchfahren lassen, aber auch eine Neuaufteilung des Straßenraums, um eigene Bus- oder Umweltspuren sowie Straßenbahntrassen zu ermöglichen“, heißt es dazu seitens des Landes. In Bietigheim-Bissingen gibt es Busspuren im Bereich des Bahnhofs, für eine am Ortseingang Richtung Löchgau sieht Hähnle günstige Signale. Doch wie sieht es mit der B 27 aus? Die Politik müsse entscheiden, wie viel man bereit sei, dem Autofahrer zuzumuten, meint Hähnle.

Enormer Finanzierungsbedarf

Was die angestrebte Taktverdichtung betrifft, weist er darauf hin, dass es im Spillmann-Gebiet den 15-Stunden-Takt teilweise in bestimmten Zeiten schon gibt. Bei einer Ausweitung auf 5 bis 24 Uhr brauche man keine weiteren Busse, allerdings entstünden weitere Kosten für Personal und Kraftstoff. Feste Takte, auch ins Umland, seien aber geeignet, mehr Fahrgäste zu gewinnen. Dafür sieht Hähnle insgesamt aber einen enormen Finanzierungsbedarf.

Eine Möglichkeit, Geld zu generieren, sei der „Mobilitätspass“. Dabei handelt es sich um ein Instrument für Kommunen, Einwohner, Kfz-Nutzer eines bestimmten Gebiets oder bestimmter Straßen mit einer Abgabe zur ÖPNV-Finanzierung zu belegen. Hähnle sieht hier die Möglichkeit, von heute auf morgen eine enorme Summe ins System zu pumpen. Die Frage sei aber, ob es politisch durchsetzbar sei. Vorerst wird dieses Instrument in Modellkommunen getestet.

Frank Metzger, Betriebsleiter der Ludwigsburger Verkehrslinien (LVL), beurteilt die ÖPNV-Strategie 2030 des Landes ähnlich wie Hähnle. „Der Wunsch ist sehr gut“, erklärte er auf BZ-Anfrage, aber zur Umsetzung brauche man viel Geld. Auf den Hauptlinien der LVL im städtischen Bereich habe gebe es jetzt schon einen Zehn-Minuten-Takt, aber die Umsetzung der angestrebten Mobilitätsgarantie auch im ländlichen Raum werde teuer. In einer ÖPNV-Abgabe sieht Metzger einen Weg, die Finanzierung zu sichern.

Zudem gelte es, dem ÖPNV Vorrang zu verschaffen, etwa durch Busbeschleunigung oder auch durch Sperrung von Innenstadt-Bereichen fürs Auto. Wenn der Autofahrer im Stau stehe und der Bus an ihm vorbeifahre, steige die Bereitschaft, das Auto stehen zu lassen. Metzger: „Es muss in die Köpfe rein, den Umstieg zu wollen.“

 
 
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