Lebenshilfe in Bietigheim-Bissingen Drei Mitbewohner mit eigenem Kopf

Von hevo
Klaus Mann, Frank Arnold und Eckhard Aichert (von links) sind Mitbewohner des Wohnheims der Lebenshilfe in der Karl-Mai-Straße in Bietigheim. In ihrem Wohnzimmer verbringen sie gemeinsame Zeit. Wenn’s dann aber reicht, hat jeder auch sein eigenes Zimmer. Foto: /Martin Kalb

Gemeinsam und doch individuell wohnen Klaus Mann, Frank Arnold und Eckhard Aichert im Wohnheim der Lebenshilfe in Bietigheim-Bissingen. Ein Blick in ihr Zuhause am Internationalen Tag der Menschen mit Behinderung.

Im offenen und hellen Wohnzimmer steht das große Ledersofa, der Esstisch ist mit weihnachtlichen Gestecken dekoriert, ein Aquarium zieht die Blicke auf sich. Besonders angetan hat es Klaus Mann der Balkon, von dem aus man einerseits zwischen den Gassen einen Blick in die Innenstadt erhaschen, andererseits aber auch Passanten beobachten kann.

Neben den Gemeinschaftsräumen gibt es viele Zimmer, die vom Flur abgehen. Mann gewährt einen Einblick in seines: Bett, Schreibtisch und ein großer Fernseher. Die gelben Wände hat er mit Fotos, Postern, einer Landkarte und Persönlichem geschmückt. Das Zimmer gefalle ihm richtig gut, er fühle sich Zuhause, sagt er.

48 Menschen leben zusammen

Was klingt wie der Besuch in einem Studentenwohnheim oder einer Studenten-WG ist tatsächlich ein Blick in das Leben der Bewohner der Karl-Mai-Allee 20 in Bietigheim-Bissingen. In zwei Gebäuden aus den Jahren 1990 und 1994 wohnen insgesamt 48 Bewohnerinnen und Bewohner, aufgeteilt auf fünf Gruppen unterschiedlicher Größe. Die Kleinste besteht aus sechs, die Größte aus 15 Menschen.

Jeder hat seinen individuellen Hintergrund, alle wohnen aus unterschiedlichen Gründen zusammen in der Wohnstätte der Lebenshilfe. „Die einen haben das Down-Syndrom, die anderen hatten eine Hirnhautentzündung oder wurden bei der Geburt mit zu wenig Sauerstoff versorgt“, erklärt Cora Wolpert, die Leiterin der Einrichtung der Lebenshilfe. In dieser gemütlichen Wohngemeinschaft im Herzen Bietigheims wohnen Menschen mit einer Behinderung.

Karl Mann wohnt schon seit 1994 hier. Er kommt auch ursprünglich aus Bietigheim, ist daher froh, dass er hier bleiben konnte. Frank Arnold, der ursprünglich aus Löchgau kommt, wohnt bereits seit 1993 in der Karl-Mai-Allee und Eckhard Aichert weiß es noch ganz genau: „Seit dem 6. April 1998 wohne ich hier“, sagt Aichert, der aus Bönnigheim stammt. Schon lange wohnen die drei Männer also in Bietigheim in der besonderen Wohnform, in einem Umfeld, das familiär aufgebaut ist, Sicherheit bietet und doch jedem einzelnen seine Freiheiten lässt.

Jeder hat seine Hobbies

Während Klaus Mann gerne Zeitung liest, fern sieht und Süßigkeiten nascht, macht Frank Arnold gerne Musik. „Montags ist Probe in Ludwigsburg“, erzählt er vom Band-Projekt der Lebenshilfe. Eckhard Aichert wiederum ist dienstags in der Barockstadt. „Wir gehen Kegeln oder Minigolf spielen“, zählt er auf. Eines jedoch unternehmen alle drei gerne: Ausflüge. „Ich besuche bald Ritter Sport“, sagt Mann. „Dann bringe ich allen Schokolade mit“, kündigt er an. Aichert hofft, dass es für ihn „auch mal wieder klappt“, sagt aber zuversichtlich: „Jeder kommt mal dran.“ Es wird gelost, wer mit darf. Auch gibt es eine Warteliste, damit keiner zu kurz kommt.

Während der Corona-Zeit war es für Menschen mit Behinderung besonders schwer, da sie unter die Heimgesetzregelung fallen. „Es war kaum Bewegung möglich“, sagt der Geschäftsführer der Lebenshilfe in Stadt und Kreis Ludwigsburg, Stephan Kurzenberger. Das habe schon Spuren hinterlassen. Denn viele der Bewohner seien sehr kontaktfreudig, genießen den Austausch mit unterschiedlichen Menschen. Alle drei Männer arbeiten in den Theo-Lorch-Werkstätten, alle drei sind „Selbstfahrer“, erklären sie nicht ohne Stolz. „Nein, wir fahren nie zusammen. Jeder für sich“, sagen sie, obwohl sie sich gut verstehen. Der eine komme aber gerne etwas früher zur Arbeit, der andere kurz vor knapp. Individuell eben.

Jeder hat seine Aufgaben

Auch den Alltag können die Bewohner individuell gestalten. Wie aber in Wohngemeinschaften üblich, hat jeder, ganz nach Neigung und Eignung, seine Aufgaben. Mann liebt es beispielsweise, beim Bäcker Brot zu holen. Botengänge übernimmt er gerne, geht auch in der Freizeit viel spazieren. Arnold wiederum deckt zumeist den Tisch und räumt die Spülmaschine ein und aus. Einige Mitbewohner, die im Rollstuhl sitzen, schnippeln Gemüse für den Salat. Denn unter der Woche wird abends immer gevespert.

„Der Vorteil am Standort hier ist, dass er mitten in der Altstadt ist und alleine schon durch die Bauweise ins Stadtbild integriert ist“, begrüßt Kurzenberger. Integration könne so aktiv gelebt werden. „Einfach mal mit den Leuten schwätzen“, das mache er gerne, sagt Aichert. Er sei stadtweit bekannt – das gefalle ihm gut.

Am Wochenende wird, wie auch in vielen WGs, gemeinsam gekocht. Früher habe es eine Großküche gegeben, erzählt Wolpert. Das habe aber einfach nicht so gut zu den Bewohnern der Wohnstätte der Lebenshilfe gepasst. „Das individuelle Kochen ist natürlich kostenintensiver“, erklärt Kurzenberger. Darum jedoch kämpfe die Lebenshilfe. „Es geht hier um den Menschen. Was er will und was er leisten kann.“ Kurzenberger hofft, dass das Bundesteilhabegesetz (siehe Infobox) der Lebenshilfe künftig mehr Handlungsspielraum ermöglicht.

An diesem Wochenende jedenfalls gibt es Kässpätzle, kündigt Klaus Mann an. „Das habe ich mir gewünscht.“ Wer dafür einkaufen geht, das werde sich noch zeigen, denn Einkaufen ist beliebt. Einig sind sich die drei Mitbewohner jedoch, was das Radioprogramm anbelangt: Schlager steht in der Karl-Mai-Allee 20 hoch im Kurs.

Zum Bundesteilhabegesetz

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG)
tritt in vier Stufen in Kraft, die im Zeitraum von 2017 bis 2023 realisiert werden. Mit einem modernen Recht auf Teilhabe soll mehr individuelle Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung ermöglicht werden.

Insgesamt ist
durch das Gesetz ein Systemwechsel beabsichtigt. So soll die „Eingliederungshilfe“ aus der Sozialhilfe herausgenommen und ein eigenes entsprechendes Leistungsrecht im Neunten Buch des Sozialgesetzbuches begründet werden. Dabei ist die personenzentrierte Ausrichtung entscheidend sowie eine ganzheitliche Bedarfsermittlung.

Die Leistungen
der Eingliederungshilfe orientieren sich nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern ausschließlich am individuellen Bedarf. Die Trennung zwischen ambulanten, teilstationären und stationären Leistungen wird also aufgegeben. Fachleistungen der Eingliederungshilfe und Leistungen zum Lebensunterhalt werden getrennt finanziert und nur die Fachleistungen liegen noch in der Zuständigkeit des Trägers der Eingliederungshilfe.  

 
 
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