Luftschutzstollen Gaishalde in Bietigheim-Bissingen 182 Meter Geschichte im Felsinneren

Von Heidi Vogelhuber
Norbert Prothmann führt regelmäßig Interessierte durch den Luftschutzstollen in Bietigheim-Bissingen. Insgesamt erstreckt sich das Tunnelsystem über 182 Meter. An der höchsten Stelle hat er gut 2,20 Meter, es gibt aber auch Stellen, an denen die Decke kaum 1,60 Meter hoch ist. Foto: /Werner Kuhnle

Regelmäßig gibt es Führungen durch den ehemaligen Luftschutzstollen Gaishalde. Bunker-Experte Norbert Prothmann führt die BZ durch den Stollen, der Geschichte zum Anfassen ist.

Die Luft ist stickig, es ist klamm, zu jeder Jahreszeit sind es konstante 16 Grad. Läuft man durch das Geflecht aus schmalen Gängen, die in den nackten Fels hineingesprengt wurden, kann man 182 Meter zurücklegen. Teils beträgt die Deckenhöhe 2,20 Meter, teils müssen selbst kleinere Menschen den Kopf einziehen, da die 1,60 Meter unterschritten werden. Beim Aufenthalt im Luftschutzstollen Gaishalde in Bietigheim-Bissingen stellt sich ein Engegefühl in der Brust ein. Bedenkt man, dass Menschen bei schummrigem Kerzenlicht im Stollen Stunden, gar Tage verbracht haben, wird einem ganz anders.

Kooperation mit dem Stadtarchiv

„Als der Krieg ausbrach, interessierte sich der damalige Bürgermeister des 7000-Seelen-Ortes Bietigheim, Gotthilf Holzwarth (1933–1945), dafür, was ein Betonbunker kostet. Das ist aus einem Schriftstück von 1939 bekannt, das im Stadtarchiv aufbewahrt wird“, berichtet Norbert Prothmann. Der Geschichtsinteressierte gehört der Forschungsgruppe Untertage an, einem gemeinnützigen, überregionalen Verein mit Sitz in Stuttgart, der sich für die Erforschung und den Erhalt von Luftschutzanlagen und Bunkern einsetzt.

Prothmann ist der Spezialist für den Luftschutzstollen Gaishalde. Ursprünglich gab es in Bietigheim sechs Stollen, berichtet er im Gespräch mit der BZ: Wobach- und Talstollen, einen Erdstollen in der Kammgarnspinnerei, den Stollen bei der Dreckmühle Metterzimmerer Straße und einen im Laiern. Einzig der Gaishalde-Stollen ist noch zugänglich. (In Bissingen gibt es weitere Stollen.)

Die Front rückte näher

Bürgermeister Holzwarth musste 1939 feststellen, dass ein Bunker für das ländlich geprägte Bietigheim nicht in Frage kam; die aus Reichsmitteln finanzierten Bunkeranlagen waren nur für große Städte vorgesehen – vorerst. Doch Ende 1943 rückte die Front immer näher. Neben den großen Städten wurden auch immer mehr kleine Orte angegriffen. Bietigheim hatte einen wirtschaftlich wertvollen Bahnknoten, war doch die Fahrt nach Würzburg und Heilbronn möglich. So beschloss man – angelehnt an alte Weinkeller – einen Luftschutzstollen in den Muschelkalkfels zu sprengen. Dazu verpflichtete die Stadt zwölf Zwangsarbeiter aus dem zentralen Durchgangslager am Bahnhof sowie einen Sprengmeister eines örtlichen Unternehmens mit dem Stollenbau, der unterhalb der katholischen Kirche entstand. Zwischen April 1944 und November 1944 wurde gearbeitet. „Das war Akkordarbeit unter schwersten Bedingungen“, erklärt Prothmann. Mit Presslufthämmern wurden Sprenglöcher, die noch heute an einigen Stellen sichtbar sind, in den Fels gebohrt. Anschließend wurden Dynamitpatronen eingesetzt. Noch im dichten Staub mussten die Arbeiter die Felsbrocken über eine Feldbahn ins Freie schaffen. Im Schutz der Nacht wurde der Aushub von Parteimitgliedern nach Sachsenheim gefahren, wo er für den Ausbau der Landebahn eingesetzt wurde.

Der erste Luftangriff auf Bietigheim erfolgte im November 1944. Der unfertige Bau wurde intensiv genutzt. „Im Luftschutzstollen gab es 247 Sitz- und 249 Stehplätze für die Bewohner der Altstadt bis zum Bahndurchlass beim Café Central“, berichtet Stollen-Experte Prothmann. Die Sitzplätze waren durchnummeriert, jede Familie hatte einen – die Übrigen standen. Die Ausstattung war sporadisch: Holzbänke ohne Lehne, kaum Licht, kein Wasser. „Regelmäßig sind Menschen ohnmächtig geworden“, erklärt Prothmann, schließlich gab es nur eine passive Lüftung. Zu Beginn war der Stollen noch von zwei Seiten erreichbar, von der Ecke Felsenkellerstraße/Krankenhaus sowie an der heutigen Auwiesenbrücke. Der Erstgenannte ist seit den 1960er-Jahren verschlossen.

Teilweise dauerhafter Wohnsitz

Bis zum 24. April 1945, als Bietigheim von französischen Truppen besetzt wurde, gab es zahlreiche Luftangriffe. Teilweise wohnten ausgebombte Menschen dauerhaft im Stollen. Nachdem der Stollen nicht mehr als Schutzraum benötigt wurde, richteten Handwerker dort Werkstätten und Lagerräume ein, später gab es eine Champignon-Zucht darin. Der Geschichtsverein Bietigheim-Bissingen übernahm die Schirmherrschaft für den Stollen und machte ihn für Besucher zugänglich. Seit 2009 bietet der Verein Forschungsgruppe Untertage Führungen an.

Ob der Luftschutzstollen auch heute noch Schutz bieten würde? „Er würde eine gewisse Sicherheit bieten, aber nicht bei einem Volltreffer“, sagt Prothmann, der von der Politik fordert, sich für Dialog und Völkerverständigung einzusetzen, damit sich die Geschichte nicht wiederholt und Orte wie der Gaishalde-Stollen als lehrreiche „Geschichte zum Anfassen“ erhalten bleiben, nicht jedoch als Schutzraum benötigt werden.

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