Stuttgarter Kickers gegen SGV Freiberg Interview mit Marco Grüttner

Von Andreas Eberle
Kapitän, Torjäger, Sportlicher Leiter: Marco Grüttner ist der Star und Tausendsassa beim SGV Freiberg. ⇥ Foto: Pressefoto Baumann

Marco Grüttner vom SGV Freiberg fiebert dem Topspiel in der Fußball-Oberliga bei den Stuttgarter Kickers entgegen. Ein Gespräch über den Aufstiegskampf und seine blaue Vergangenheit. Von Andreas Eberle

Kapitän, Torjäger, Sportlicher Leiter, Ex-Blauer, Idol und Identifikationsfigur – Marco Grüttner vom SGV Freiberg steht vor dem Oberliga-Knaller an diesem Mittwoch (19 Uhr) bei den Stuttgarter Kickers im Fokus. „Das hätte ich mir vor ein paar Jahren noch nicht erträumt“, sagt der Mittelstürmer im BZ-Interview über seine Rückkehr auf die Waldau. 

Sie haben jahrelang in der Zweiten Bundesliga gespielt und in Ihrer Karriere schon viel erlebt. Ist das Duell auf der Waldau trotzdem auch für Sie noch etwas Besonderes?

Marco Grüttner: Für mich ist jedes Spiel besonders. Das Duell gegen die Kickers ist aber insofern speziell, weil ich mit meinem Heimatverein noch mal bei den Kickers im Gazistadion auflaufen kann. Das hätte ich mir vor ein paar Jahren noch nicht erträumt. Der Vorverkauf lässt auf eine große Zuschauerzahl schließen. Das haben sich beide Mannschaften und die Fans nach der schwierigen Corona-Zeit mit den vielen Einschränkungen auch verdient.

Beim Abstiegskandidaten Sportfreunde Dorfmerkingen hat der SGV am Samstag nur unentschieden gespielt. War die Mannschaft mit dem Kopf schon beim Kickers-Spiel?

Überhaupt nicht. Wir wissen, dass jedes Spiel in der Oberliga schwer ist. Klar hätten wir in Dorfmerkingen gewinnen müssen. Das wissen wir, und wir sind mit dem Ergebnis auch unzufrieden. Uns hat in allen Bereichen der letzte Tick gefehlt.

Fällt im Gipfelduell am Mittwoch eine Vorentscheidung um die Meisterschaft und den Direktaufstieg?

Nullkommanull. Ich habe schon vor der Saison gesagt, dass es nicht auf die beiden Spiele gegen die Kickers ankommen wird. Entscheidend ist, die vielen anderen Hausaufgaben erfolgreich zu erledigen. Jeder weiß, dass man nicht einfach so durch eine Saison spaziert und dabei nie Punkte liegen lässt. Wer am Mittwoch gewinnt, hat ein Polster von drei Zählern, aber das ist letztlich auch nur ein Sieg. Es sind danach noch viele Spiele zu absolvieren. Es bringt nichts, wenn wir jetzt bei den Kickers gewinnen und in den folgenden Partien patzen.

Das Hinspiel haben die Kickers knapp mit 1:0 gewonnen. Was muss Freiberg besser machen, um diesmal das bessere Ende für sich zu haben?

Wir müssen auf den vergangenen Spielen aufbauen – auch auf das in Dorfmerkingen. Da haben wir uns viele Chancen herausgearbeitet. Das ist auch auf der Waldau unser Ziel. Im Vorrundenduell war ein Manko, dass wir aus unserer Überlegenheit gerade in der ersten Halbzeit zu wenig gemacht haben. Und dann müssen wir eben auch die Tore machen.

Gibt es einen Favoriten?

Nein, wir haben eine starke Mannschaft, die Kickers auch. Ich sehe uns pari. Das Team, das die bessere Tagesform hat und den größeren Willen an den Tag legt, wird sich durchsetzen – und ich gehe davon aus, dass wir das sind.

Die Kickers haben als ehemaliger Bundesligist eine große Vergangenheit und verfügen über ein enormes Fan-Potenzial. Gehört der Klub nicht eher in die Regionalliga als der vergleichsweise kleine SGV?

Die Kickers gehören mindestens in die Regionalliga – oder sogar in die Dritte oder Zweite Liga. Aber es gibt Gründe, warum sie in der Oberliga spielen. Dass wir den Aufstieg genauso verdient hätten, steht außer Frage. Denn wir arbeiten am Wasen mit aller Kraft an diesem Ziel. Wir sind der Herausforderer, der noch nie in der Regionalliga gewesen ist. Die Oberliga ist für den SGV bisher immer das Maximum gewesen. Das wollen wir ändern. Letztlich können ja auch zwei Vereine aufsteigen. Wenn wir es als Erster schaffen und die Kickers über die Relegation, wäre das doch super.

Wem würden Sie den Aufstieg am meisten gönnen, wenn Sie sich beim SGV umschauen?

Uns allen, denn alle Beteiligten sind mit viel Herzblut dabei. Etwa unser Trainer „Laki“ (Evangelos Sbonias, Anm. d. Red.), der bisher in 35 Punktspielen nur eine Niederlage zu beklagen hatte. Auch unserer Mannschaft und den vielen Ehrenamtlichen drumherum gönne ich den Aufstieg. Sie tun alles dafür, um am Wasen optimale Bedingungen zu schaffen. Ein gutes Beispiel ist Siggi Eisebraun, der mit seinen 83 Jahren noch jeden Tag auf dem Sportgelände ist und sich um einen reibungslosen Spielbetrieb kümmert. Die ganze Arbeit, die der Verein leistet, wird von außen oft gar nicht angemessen gewürdigt. Da heißt es oft: Das ist nur mit Geld, Geld, Geld möglich. Das finde ich sehr schade.

Ihr Mitspieler Yannick Thermann hat neulich im gesagt, dass das Projekt Freiberg gescheitert sei, wenn der SGV in dieser Saison nicht aufsteigt. Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich verschwende keinen Gedanken daran, was passieren würde, wenn wir es nicht schaffen. 2020 haben wir einen Plan aufgestellt, der den Sprung in die Regionalliga innerhalb von zwei Jahren vorsieht. Im ersten Jahr wurde uns der Aufstieg durch den Saisonabbruch verwehrt. Schon da waren wir auf einem guten Weg, jetzt sind wir es wieder. Wir haben uns einen ordentlichen Vorsprung auf Rang drei erarbeitet. Das ist wichtig, schließlich kann man auch als Vizemeister aufsteigen. Wir wollen unbedingt hoch. Dafür geben wir alles.

Sie waren von 2011 bis 2013 selbst ein Blauer. Was verbinden Sie mit jener Zeit in Degerloch?

Es waren zwei superschöne Jahre, an die ich mich gern erinnere. Wir hatten eine überragende Mannschaft mit Dirk Schuster als Trainer. Als Aufsteiger aus der Regionalliga haben wir damals eine tolle Drittliga-Saison hingelegt und die Fans begeistert. Es war bis zum Schluss ein harter Kampf um den Klassenerhalt – mit dem Abstiegsendspiel in Darmstadt als Höhepunkt. Wenn ich daran denke, bekomme ich noch heute eine Gänsehaut. Außerdem bin ich dem Verein dankbar, dass er mir 2011 nach der schweren Verletzung in meiner Aalener Zeit – einem Schädelbruch – die Chance gegeben hat, wieder Fuß zu fassen.

Haben Sie noch Kontakte zum SVK?

Es ist nicht so, dass ich jetzt ständig mit alten Kickers-Weggefährten telefoniere. Im Fußball sieht man sich aber immer wieder, das ist auch das Schöne daran. Ich freue mich darauf, am Mittwoch wieder alte Bekannte zu treffen, etwa frühere Teamkollegen wie Enzo Marchese, Julian Leist oder Kevin Dicklhuber, Busfahrer Willi Mast oder Zeugwart Dieter Kerschbaum. Die alten Verbindungen bestehen noch. Ich bin damals ja auch nicht im Groll gegangen. Die Vorfreude auf meine Rückkehr mit dem SGV ist riesig.

 

Zur Person: Marco Grüttner

Für den SSV Jahn Regensburg lief Marco Grüttner 97 Mal in der Zweiten Bundesliga auf und erzielte 32 Tore. Drei Spielzeiten führte der 36-jährige Mittelstürmer die Oberpfälzer auch als Kapitän an. Im Sommer 2020 kehrte er zu seinem Heimatverein SGV Freiberg zurück und unterschrieb einen Vierjahresvertrag. Am Wasen ist er als Kapitän, Torjäger und Sportlicher Leiter in Personalunion tätig. Seine weiteren Stationen waren Sonnenhof Großaspach, der TSV Schwieberdingen, der SSV Ulm, der VfR Aalen, die Stuttgarter Kickers und der VfB II. In seiner Vita stehen 191 Drittliga- und 57 Regionalliga-Einsätze sowie sechs DFB-Pokal-Spiele. Grüttner lebt mit seiner Familie in Weiler zum Stein.

 

Das perfekte Drehbuch für ein Topspiel

Stuttgart/Freiberg. Erster gegen Zweiter, ein Flutlichtspiel im schmucken Gazistadion, eine Zuschauerzahl im mittleren vierstelligen Bereich und die zwei mit Abstand besten Teams im direkten Duell – mehr Spitzenspiel geht nicht, wenn an diesem Mittwoch (19 Uhr) die Stuttgarter Kickers und der SGV Freiberg in der Oberliga aufeinandertreffen. „So ein Drehbuch hätte man sich nicht besser ausdenken können. Da schlägt jedes Fußball-Herz höher“, bringt es Gästetrainer Evangelos Sbonias auf den Punkt.

Wie schon in den ersten beiden Pflichtspielen 2022 gegen den FC Astoria Walldorf II und die Sportfreunde Dorfmerkingen tritt der SGV auch in Degerloch wieder mit voller Kapelle an. Nur der Langzeitverletzte David Müller steht an seiner früheren Wirkungsstätte nicht zur Verfügung.

Seit seinem Amtsantritt am Wasen im Sommer 2020 hat Sbonias mit Freiberg nur eine Oberliga-Partie verloren – und das am zweiten Spieltag ausgerechnet gegen die Kickers. Kevin Dicklhuber versetzte dem SGV damals mit einem Meisterschuss den Lucky Punch. „Auch diesmal werden wieder Kleinigkeiten entscheiden“, sagt Sbonias. Er glaubt nicht, dass die große Kulisse seine Elf hemmen könnte. Im Gegenteil: „Man kann zusätzliche Kraft daraus ziehen, wenn das ganze Stadion gegen einen ist. Wir haben eine erfahrene Mannschaft, die sich nicht einschüchtern lässt. Die Jungs sind bereit, Gas zu geben und abzuliefern.“

Die Kickers haben in der laufenden Runde schon drei Niederlagen kassiert und zuletzt am 23. Oktober 2021 mit 0:1 beim FSV 08 Bietigheim-Bissingen verloren. Seitdem hat die Elf von Trainer Mustafa Ünal aber alle zehn Pflichtspiele für sich entschieden. Vor Ehrfurcht erstarren wollen die Freiberger aber nicht, zumal auch sie seit 19 Duellen in der Oberliga ungeschlagen sind. „Uns hinten einzuigeln und dem Gegner das Spiel zu überlassen, ist konträr zu unserer DNA“, betont Coach Sbonias.

 
 
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