Oberriexingerin wird Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Die Geschicke der Diakonie in Händen

Von Gabriele Szczegulski
Die in Oberriexingen lebende Annette Noller wird künftig das Diakonische Werk Württemberg leiten.⇥ Foto: Julian Rettig

Prof. Dr. Annette Noller wird Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks in Württemberg. Vor allem religiöse Werte als Grundlage allen Handelns sind ihr wichtig.

Bisher leitete Prof. Dr. Annette Noller, die in Oberriexingen lebt, den Studiengang Theologie und Ethik in sozialen Handlungsfeldern und Diakoniewissenschaft an der Evangelischen Hochschule (EH) in Ludwigsburg. Nun wird sie Vorstandsvorsitzende  des Diakonischen Werks Württemberg und vertritt dieses im Oberkirchenrat.

 Frau Noller, inwieweit haben die Schwerpunkte Ethik und Theologie in der Diakoniebildung an der EH die Grundlage für das neue Beschäftigungsfeld beim Diakonischen Werk gelegt?

Ich bringe aufgrund meiner 18-jährigen Lehrtätigkeit an der EH viel Fachwissen mit. Das betrifft soziale und gesundheitliche Handlungsfelder, aber auch Fragen der Organisation und des Managements. In verschiedenen Projekten und Kooperationen hatte ich Kontakt und Austausch mit der diakonischen und kirchlichen Praxis. Als Pfarrerin kenne ich auch die Landeskirche. Mein Fachgebiet, die Ethik und Theologie im sozialen Handeln, wird auch Thema in der Diakonie sein.

Was bedeuten für Sie Theologie und Ethik in sozialen Handlungsfeldern?

Ausgedrückt wird damit, dass unserem Handeln in den verschiedensten Arbeitsfeldern, also in der Sozialen Arbeit, in den Hilfen zur Erziehung, in der Familien- und Suchtberatung, in der Pflege, in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, dass in allen sozialen Handlungsfeldern das Handeln von Werten geprägt ist. Weltanschauungen und Werte, religiöse Überzeugungen liegen jedem Handeln zugrunde.

Was sind im Diakonischen Werk und im Oberkirchenrat Ihre Aufgaben?

Im Diakonischen Werk Württemberg bin ich Vorstandsvorsitzende. Ich steuere mit den beiden anderen Vorständen die Geschicke der Diakonie in Württemberg, wenn ich es ganz plakativ sage. Wir vertreten und beraten 1400 Mitgliedseinrichtungen. Wir verhandeln viele inhaltliche Themen, zum Beispiel zur Pflege oder Behindertenhilfe, besprechen die finanzielle Situation der Diakonie oder einzelner Einrichtungen, wir befassen uns mit neuen Projektideen. Wir verhandeln mit Vertretern der Politik, der Gesellschaft und Kirchen. Als Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg bin ich Mitglied im Kollegium des Oberkirchenrats, dem Leitungsgremium der Landeskirche. Ich bin also auch an wegweisenden Entscheidungen der Landeskirche beteiligt.

 Welchen neuen Herausforderungen müssen Sie sich stellen?

Drängende Herausforderung wird sicherlich noch eine Weile die Corona-Pandemie bleiben. Diakonische Arbeit lebt in allen Bereichen vom Kontakt und der Nähe zu den Menschen. Deshalb müssen wir hier gut auf die Bewohnerinnen, Klienten und auch die Mitarbeitenden achten – sie vor Ansteckungen, aber auch vor Vereinsamung schützen. Es gibt hier schon gute Konzepte und kreative Lösungen. Auch das Thema der Finanzierung wird bleiben oder sich noch zuspitzen. Wir haben so viele Themen, immer wieder neue Projekte, setzen uns sozialpolitisch ein – sind bei der Digitalisierung gut dabei.

 Gerade in Coronazeiten wird das soziale und auch diakonische Handeln auf den Prüfstand gestellt. Sind Sie zufrieden damit, wie dieses in der Realität aussieht?

In dieser Pandemie wird wieder mehr auf den sozialen Bereich geschaut, die Alten- und Krankenpflege thematisiert. Wir begrüßen die Pflegeprämie als Wertschätzung der wichtigen Arbeit im Altenpflegeheim. Zurecht wurde die Forderung gestellt, diese auch Pflegekräften im Krankenhaus zukommen zu lassen. Auch unsere Mitarbeitenden in der Behindertenhilfe hätten diese Anerkennung unbedingt verdient. Die Diakonie ist im ständigen Austausch mit der Politik. Zuerst waren zum Beispiel die Schutzschirme nicht auf die Sozialwirtschaft ausgerichtet. Aber diese Anpassung ist dann gelungen. Das Wirtschaftsministerium hat die Sozialverbände an wöchentlichen Abstimmungsrunden beteiligt. Die Erfahrung ist also, dass die Diakonie durchaus von der Politik gehört und vor Entscheidungen auch gefragt wird. Die Diakonie wird natürlich dran bleiben, zum Beispiel grundsätzlich und dauerhaft gute Bedingungen für die Pflege zu fordern. Ein Besuchsverbot wird es voraussichtlich nicht mehr geben. Auch wenn das Personal knapp ist, dürfen wir nicht vergessen, dass die Pflegekräfte für die Bewohner da sind.

Passt es noch zusammen, dass die Diakonie ein moderner Dienstleister ist und trotzdem ethische und religiöse Grundsätze hat?

Moderner Dienstleister zu sein und ethische Grundsätze zu haben, schließen sich hoffentlich für kein Unternehmen aus. Die Diakonie ist der soziale Dienst der evangelischen Kirche. Wir gründen auf der Zusage, dass Gott alle Menschen unterschiedslos liebt und deshalb jeder Mensch eine unverlierbare Würde hat. Dafür soll diakonische Arbeit einstehen und daraus schöpfen viele der Mitarbeitenden Kraft. Dass die Diakonie gut wirtschaftet und auch Nachweise darüber bringen muss, ist richtig und wichtig.

Welche Konzepte machen das Diakonische Werk zukunftsfähig?

Ein gerade erst gestartetes Projekt befasst sich mit der Arbeit in Wohnquartieren. Die große Stärke von Kirche und Diakonie ist ja, dass sie vor Ort sind und die Menschen kennen. Gemeinsam und inklusiv das Leben vor Ort gestalten und Unterstützung zu geben, wo sie nötig ist und die Selbstbestimmung von Menschen im Alter, in Pflegesituationen sowie von Hilfebedürftigen zu erhalten, das halte ich für zukunftsfähig.

Sie wohnen in Oberriexingen. Wie sehen Sie ganz konkret vor Ort soziales Handeln?

Wir haben vor Ort in allen Landkreisen diakonische Bezirksstellen, Sozialstationen, Pflegeinrichtungen und Kreisdiakonien, die Menschen in unterschiedlichen Lebensfragen beraten und pflegen. Das Diakonische Werk wiederum berät und unterstützt diese Einrichtungen.

Warum haben Sie sich für einen sozialen und religiösen Beruf entschieden?

Den Beruf Pfarrerin habe ich gewählt aufgrund meines Glaubens. Ich habe in einer Kirchengemeinde in Reutlingen, in der ich aufgewachsen bin, erlebt, dass man sich mit gesellschaftlichen Fragen und mit der Unterstützung von Menschen befasst und das auch im Handeln umsetzt. Ich empfinde es bis heute als Geschenk, aus dem Glauben heraus leben und arbeiten zu können. Mein Mann ist ehrenamtlich in der Kirchengemeinde und im Kirchenbezirk engagiert. Zusammen gehen wir in die Gottesdienste und Veranstaltungen in Oberriexingen.

 
 
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