Prozess zur Tat am Bahnhof Schlägerei in Freiberg: Wende vor Gericht

Von Henning Maak
Der Tatort am Freiberger S-Bahnhof.⇥ Foto: Oliver Bürkle

Im Prozess um eine brutale Schlägerei am S-Bahnhof in Freiberg fordert die Staatsanwaltschaft nur noch eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung. Fühlte sich der Angeklagte in seiner Ehre gekränkt?

Eine überraschende Wende hat der Prozess am Landgericht Stuttgart um die gewalttätigen Vorgänge am Freiberger S-Bahnhof vom vergangenen Oktober am vorletzten Verhandlungstag genommen. In seinem Schlussplädoyer hielt Oberstaatsanwalt Christoph Kalkschmid den in der Anklage erhobenen Vorwurf des versuchten Totschlags gegen einen 20-Jährigen aus Großbottwar nicht mehr aufrecht, sondern plädierte nur noch auf gefährliche Körperverletzung. Grund dafür war die Aussage eines 24-Jährigen, den der Oberstaatsanwalt „einen Zeugen aus dem Bilderbuch“ nannte.

Lautstarker Streit

Der 24-Jährige war bereits in der S-Bahn zwischen Ludwigsburg und Marbach Zeuge des lautstarken Streits zwischen dem Angeklagten und seiner Freundin. Er bekam auch mit, wie ein 20-Jähriger aus Pleidelsheim sich einmischte und versuchte, den Angeklagten von Schlägen gegen seine Freundin abzuhalten. Dieser habe den 20-Jährigen dann durch den Zug geschubst und gedroht, er werde ihm beim Aussteigen folgen.

Am Bahnhof in Freiberg habe der Angeklagte dann auf seinen Pleidelsheimer Kontrahenten eingeschlagen und versucht, ihn eine Treppe hinunter zu schubsen. Darauf habe der Großbottwarer sein Opfer an Hosenbund und Schulter gepackt und in Richtung der Gleise gezogen. Kurz bevor eine Bahn eingefahren sei, hätten er und ein 19-Jähriger die beiden von der Bahnsteigkante weggezogen. Er habe den Eindruck gehabt, die Situation werde zu gefährlich.

Die Staatsanwaltschaft hatte Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben, weil eine junge Frau am Bahnsteig lautstark „Die Bahn kommt“ gerufen hatte und sie der Meinung war, dass der Angeklagte sein Opfer vor den Zug werfen wollte. Der Pleidelsheimer schien das zu bestätigen, indem er aussagte, er habe schon die Gleise und den Schotter gesehen und müsse mit dem Kopf über der Kante gewesen sein.

Der 24-Jährige erklärte jedoch, der Angeklagte habe sein Opfer „eher planlos im Kreis gezogen und nicht gezielt in Richtung der Bahnsteigkante. Es sah nicht so aus, als ob er ihn vor den Zug werfen wollte“, ergänzte er. Der Angeklagte habe offenbar nur zeigen wollen, wer das Alphatier sei, das Ziehen sei „hektisch und planlos“ gewesen. Nach dem Ruf „Die Bahn kommt“ habe der Angeklagte sein Verhalten auch nicht geändert.

Keine Videoüberwachung

Oberstaatsanwalt Kalkschmid erklärte, da der Tatort von der Videoüberwachung am Bahnhof nicht erfasst werde, sei man in diesem Prozess auf Zeugenaussagen angewiesen, was immer schwieriger sei als objektive Beweismittel. Das Verhalten des Angeklagten, der sich durch die Intervention des Pleidelsheimers offenbar in seiner Ehre gekränkt gefühlt hatte, sei dennoch „unheimlich brutal und extrem gefährlich“ gewesen.

Er sah für den versuchten Stoß vor der Treppe den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung als erfüllt an und den der vorsätzlichen Körperverletzung für den Schlag gegen den 19-jährigen Helfer, der eine blutige Nase erlitt. Kalkschmid plädierte auf eine zweijährige Jugendstrafe auf Bewährung. Man müsse beim Angeklagten auf Grund seiner Biografie von einer Entwicklungsverzögerung ausgehen. „Aber er hat aus nichtigem Anlass wie verletztem Ehrgefühl einen Helfer brutal zusammengeschlagen“, betonte er. Daher forderte er als Bewährungsauflagen 160 Stunden gemeinnützige Arbeit und die Teilnahme an einem Anti-Aggressions-Training.

Verteidiger Alexander Götz hielt in seinem Schlussplädoyer eine eineinhalbjährige Jugendstrafe auf Bewährung und 120 Stunden gemeinnützige Arbeit für ausreichend. Der Angeklagte erklärte in seinem letzten Wort, er habe den größten Fehler seines Lebens gemacht und schäme sich vor seiner Familie. Am Donnerstag will die Kammer ihr Urteil verkünden.

 
 
- Anzeige -