SG BBM Bietigheim Ein weinendes und ein lachendes Auge

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Bildeten bei der SG BBM Bietigheim ein eingeschworenes Trainerteam (von links): Markus Gaugisch und sein Assistent Frederick Griesbach Foto: /Marco Wolf

Nach den erfolgreichsten drei Jahren der Klubgeschichte verlässt Markus Gaugisch die SG BBM Bietigheim und konzentriert sich auf seine Aufgabe als deutscher Bundestrainer, die er zuletzt schon parallel wahrgenommen hat.

Drei Jahre lang hat Markus Gaugisch die Verantwortung für die Handballerinnen der SG BBM Bietigheim getragen und sie zu einer der erfolgreichsten Mannschaften in Europa geformt. Acht Titel gewann das Viadukt-Team in dieser Zeit – darunter zweimal das Double aus deutscher Meisterschaft und Pokal sowie die European League. Mit dem Auswärtsspiel bei der TuS Metzingen endete aber die Amtszeit Gaugisch’ als Trainer in Bietigheim. In Zukunft konzentriert er sich auf seine Aufgabe als Bundestrainer, die er in dieser Saison parallel ausgeübt hat. Im Interview spricht er über seine Zeit bei der SG BBM und seine neuen Aufgaben.

Wenn Sie auf Ihre Zeit bei der SG BBM Bietigheim zurückblicken, was ist Ihnen am meisten im Gedächtnis geblieben?

Das war der Mai im letzten Jahr. Der war besonders. Jede Woche war was – erst die deutsche Meisterschaft gewonnen, dann der Pokalsieg und schließlich die Reise nach Dänemark, wo wir den European-Laegue-Cup gewonnen haben. Das waren Wochen, die liefen wie im Film ab. Das war einzigartig.

Und was werden Sie vermissen?

Das tägliche Arbeiten mit der Mannschaft. So ein Team ist immer etwas Besonderes. Mit den Personen, die man um sich herum hat und mit denen man sich tagtäglich umgibt – das ist ein Wohlfühlfaktor. Die Momente im Trainerteam, in der Halle oder in der Kabine werde ich vermissen.

Und was nicht?

Auto- und Busfahren. Mein Co-Trainer Frederik Griesbach hatte ausgerechnet, dass wir dreimal um die Erde unterwegs waren.

In Zukunft konzentrieren Sie sich auf ihre Aufgabe als Bundestrainer bei der deutschen Nationalmannschaft. Auf was freuen Sie sich am meisten?

Es sind wahnsinnige Ziele, die wir vor uns haben. Zurzeit habe ich etwas Zeit zum Durchschnaufen, weil erst zum Beginn der neuen Saison wieder eine direkte Lehrgangsmaßnahme ansteht. Dann geht es in Richtung Olympische Spiele 2024 in Paris. Dieses Ziel zu erreichen ist wahnsinnig motivierend. Jetzt aber auch erst einmal zur WM nach Skandinavien zu fahren, in so handballverrückte Länder, ist auch etwas Besonderes.

Was sind die Ziele für die Weltmeisterschaft Anfang Dezember in Dänemark, Norwegen und Schweden?

Wir müssen natürlich erst einmal abwarten, wie die Gruppen aussehen, wer unsere Gegner sind und auf wen wir in den Playoff-Partien treffen. Wir wollen aber auf jeden Fall einen der Ränge belegen, die für ein Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele berechtigen. Als Trainer will ich, dass wir flexibler werden, als wir das bei der EM im Dezember des vergangenen Jahres waren.

Was wollen Sie generell mit der Nationalmannschaft erreichen?

Wir waren bei den letzten drei großen internationalen Turnieren jeweils Siebter. Und wenn man das Starterfeld so anschaut, sind mit Schweden, Norwegen, Dänemark und Frankreich vier Teams vorne. Das Ziel für uns muss sein, sich Stück für Stück an diese Nationen heranzuschieben, damit wir diese Mannschaften langsam einholen. Und wenn uns das gelingt, werden unsere Ansprüche steigen. Es heißt immer, man will ins Halbfinale. Das ist das Maximale.

Wie wird sich die Arbeit ändern, wenn Sie nicht mehr tagtäglich eine Mannschaft betreuen?

Es ist alles deutlich komprimierter. Man muss in den Lehrgangsphasen in ganz kurzer Zeit so viele Dinge implementieren wie möglich. Das ist aber auch nicht unendlich möglich. Solche Prozesse brauchen Zeit und die Spielerinnen Wiederholungszahlen. Das haben wir aber nicht. Deshalb müssen wir alles gut vorbereiten – vor allem über die Kommunikation mit den Vereinstrainern, damit die Trainer in der Ersten Bundesliga wissen, was die Nationalmannschaft versucht. Damit die Nationalspielerinnen nicht zum Lehrgang kommen und quasi jedes Mal bei Null anfangen. Wenn wir hinbekommen, dass sie wissen, welches System wir spielen und was so die grundlegenden Verhaltensweisen sind, ist das ein Schritt in die richtige Richtung.

Als bekannt wurde, dass sie zu den Frauen wechseln, waren viele – auch alte Weggefährten – überrascht. Haben Sie den Schritt jemals bereut?

Nein, auf keinen Fall, sonst würde ich es auch nicht weitermachen. Das Gefühl, das will ich probieren, war sofort da, als ich vor dreieinhalb Jahren mit Gerit Winnen, dem Sportlichen Leiter der SG, und dem damaligen SG-Geschäftsführer Thorsten Nick zusammensaß. Das hat sich ausgezahlt, weil mir auch die Mannschaft viel zurückgegeben hat an Enthusiasmus, Offenheit und Arbeitseifer.

Wo haben Sie sich anpassen müssen, als Sie vom Männer- in den Frauenbereich gewechselt sind?

Die Grundlagen sind andere. Ich wollte am Anfang sehr vieles sehr schnell. Das hat nicht zusammengepasst. Aber wir haben uns schnell aufeinander zubewegt. Da habe ich viel probiert. Das eine hat funktioniert, das andere nicht. Da habe ich viel gelernt.

Alle Ihre Spielerinnen loben Sie als Trainer, aber auch für Ihre Art. Aus Ihrer Sicht: Was macht Sie zu einem guten Coach?

Die fachliche Thematik ist nie zu Ende. Da lernt man jeden Tag dazu, wo man neue Entwicklungen des Spiels kennenlernt, vor allem durch Videos. Ich habe Lust daran, mich damit auseinanderzusetzen und nicht zu sagen, das kann ich jetzt, so will ich spielen und das ist bis zum Ende so. Wir haben immer wieder versucht, neue Impulse zu setzen. Alles andere sind Umgangsformen. Ich habe einfach Spaß mit den Spielerinnen, Spaß an der Arbeit und am Training, aber auch Spaß an der Auseinandersetzung mit irgendwelchen Themen. Das gibt eine Atmosphäre, die einen gern in die Halle gehen lässt.

Zwei Ihrer eigenen Trainer waren Kurt Reusch und der leider kürzlich zu früh verstorbene Dr. Rolf Brack. Sind das die beiden, die Sie am meisten inspirierten? Oder wer hat ihre Trainerkarriere sonst noch wesentlich beeinflusst?

Die beiden hatte ich auf jeden Fall am Längsten. Vor Kurt hatte ich immer so viel Respekt als Jugendspieler. Wenn er in die Halle kam, war Ruhe und Zuhören angesagt. Das habe ich sicherlich von ihm gelernt – was den Umgang mit einem Team angeht. Von Rolf habe ich sicherlich vieles mitgenommen, was in Taktik geht. Was heute modern ist, hat er schon vor 20 bis 30 Jahren mit deutlich geringeren Mitteln und deutlich schlechterer technischer Ausstattung umgesetzt. Er war ein Vorreiter. Und dann hatte ich mit Eckhard Nothdurft in Pfullingen noch mal einen Trainer, der wahnsinnig kreativ war. Er hat Trainingsübungen gestaltet, die variabel waren und Spielfähigkeit sowie eine komplexe Ausbildung ermöglicht haben.

Frederick Griesbach war die vergangenen beiden Jahre lang ihr Co-Trainer bei der SG und wird auch Jakob Vestergaard unterstützen. Wo sehen Sie seine Verdienste am Erfolg?

Ich bin sehr froh, dass Freddy die letzten beiden Jahre da war. Er trägt mit seiner Art dazu bei, dass es Spaß macht bei der Arbeit. Er ist auch ein unheimlicher Denker über Handball, er weiß sehr viel. Außerdem hat er mir immer den Rücken freigehalten, wenn ich es gebraucht habe. Wir haben sehr intensiv zusammengearbeitet, was in der Videovorbereitung geht und was Dinge im Training angehen. Es ist wichtig, dass er da bleibt, und mit meinem Nachfolger Jakob Vestergaard weiterarbeitet.

Sie wurden vom LSV Baden-Württemberg als Trainer des Jahres 2022 geehrt. Was bedeutete das für Sie?

Die individuelle Auszeichnung hat mich mega gefreut. Antje Döll hat da auch eine sehr persönliche Laudatio gehalten – das hat mich in dem Moment angekratzt. Wenn man so viel gewinnt, wird so ein Preis zurückgeführt auf das, was dabei rausgekommen ist. Für mich war es aber eher eine Bestätigung für die viele Arbeit, die in den Erfolgen steckt – Verzicht auf die Familie und auf eigene Bedürfnisse.

In Kürze werden Sie bei einem Trainer-Workshop des DHB vor Spitzentrainern die Arbeit bei der SG BBM Bietigheim vorstellen. Was kann die Bundesliga von der SG lernen?

Wir geben in Bietigheim den Spielerinnen die Möglichkeit, sich voll auf Handball zu konzentrieren. Wenn jemand zweimal pro Tag trainiert und dazwischen noch andere Dinge gemacht werden muss – zum Beispiel arbeiten gehen oder eine Ausbildung absolvieren –, dann ist es klar, dass er oder sie die Einheit morgens oder abends nicht in der Qualität durchführen kann wie ein Profi. Das hat bei der SG natürlich auch einen finanziellen Background. Aber es ist offensichtlich, dass dieser Weg im Leistungssport notwendig ist und dass man versuchen muss, ihn einzuschlagen. Das geht bei vielen Vereinen nicht von heute auf morgen. Aber Stück für Stück die Strukturen optimieren, da höre ich immer wieder positive Ansätze von Klubs, die sich Gedanken machen, in welche Richtung sie gehen wollen und da auch alles rausholen wollen, was geht..

Zur Person

Markus Gaugisch hat schon als Spieler einige Erfolge in seiner Vita stehen. 1993 wurde er mit dem TSV Heiningen Deutscher A-Jugend-Meister. Über den TSV Scharnhausen kam er zum Süd-Zweitligisten VfL Pfullingen, mit dem er in der Saison 2001/02 als Meister in die Erste Bundesliga aufstieg und bis 2006 im deutschen Handball-Oberhaus spielte. Nach dem Abstieg wechselte er zum Regionalliga-Aufsteiger TV 1893 Neuhausen, wo er 2007 seine Spielerkarriere beendete und seine Trainerlaufbahn begann – zunächst als Assistent von Kurt Reusch und ab 2009 als dessen Nachfolger. Mit Neuhausen schaffte Gaugisch auch als Trainer 2011/12 den Sprung in die Erste Bundesliga. Im Dezember 2013 übernahm Gaugisch den Bundesligisten HBW Balingen-Weilstetten, nachdem Rolf Brack wegen schlechter Ergebnisse entlassen worden war. Ein Jahr später wurde er allerdings freigestellt. Nach einer knapp fünfjährigen Pause wurde Gaugisch im Sommer 2020 Trainer bei der SG BBM Bietigheim und läutete die bisher erfolgreichste Zeit des Frauenhandball-Bundesligisten mit acht Titeln in den drei Jahren ein.

 
 
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