Theatersommer: Interpretation des „Orlando“ von Virginia Woolf Die Genderdebatte spielt keine Rolle

Von Heidi Vogelhuber
Sergej Czepurnyi und Theresa Martini spielen gemeinsam Orlando. Beide schlüpfen sie in die weibliche sowie männliche Version der Figur. Die Requisiten sowie Kostüme sind schlicht und multifunktional. Der Blickfang des Bühnenbilds ist die Pfirsich-Schaukel. ⇥ Foto: Oliver Bürkle

Martin Maders Interpretation von Virginia Woolfs „Orlando“ feierte am Dienstag, 27. Juli, im Clussgarten in Ludwigsburg Premiere.

„Du stehst im Garten und zweifelst“, sagt Orlando (Theresa Martini) zu Orlando (Sergej Czepurnyi). Zu zweit hauchen die beiden Schauspieler Orlando, der literarischen Figur Virginia Woolfs aus ihrem gleichnamigen Roman, der 1928 publiziert wurde, Leben ein. Eigentlich für das 30-jährige Jubiläum des Theatersommers im vergangenen Jahr gedacht, feierte das etwa 80-minütige Stück am Dienstag auf der Ludwigsburger Rondellbühne Premiere. Bis zum 7. August gibt es noch Vorstellungen – allerdings allesamt ausverkauft.

Die beiden Orlandos stehen durchgehend im Dialog – mal Streitgespräch, mal fruchtbare Diskussion, mal erinnern sie sich gegenseitig an Erlebtes. Der Zuschauer jedoch ist genau das: ein Zuschauer. Ein Zuhörer. Einer, der die Szenerie von außen betrachtet. Und auch wenn er die Handlungsstränge aus dem Roman erkennen und den Erzählungen der Orlandos grob folgen kann, bleibt er doch außen vor. Er bleibt ein Fremdkörper, der ein Gespräch zweier Fremder belauscht – oder vielleicht auch das Selbstgespräch eines Sonderlings.

Defizite des Patriarchats

Während Virginia Woolf in ihrem gesellschaftskritischen Roman während des Erwachens der Frauenbewegung die Rechte der Frau vorantreiben will, die Einschränkungen anprangert und mit viel Humor und Charme Defizite des patriarchalen Systems aufzeigt, bleibt die Ludwigsburger Version des Regisseurs Martin Mader oberflächlich.

Fast sicher war sich der Zuschauer, dass die aktuelle Genderdebatte ihren Platz im Stück findet, wechselt doch Orlando in seinen Reisen durch die Zeit, begonnen im 16. Jahrhundert und endend im 20. Jahrhundert, sein Geschlecht. Und muss feststellen, wie gut es sich doch als Lover der Königin Elizabeth I. von England, als englischer Botschafter in Konstantinopel und zuletzt als Herzog lebte, wie schlecht sich jedoch im engen Korsett der damals für Damen üblichen Kleidung davonrennen, wegschwimmen, ja selbst ein Grundstück besitzen lässt. „Der Herzog ist tot, nun bin ich eine Frau geworden, was dem Tode gleich kommt“, formuliert Orlando. Das Leben als Tee kredenzende Dame gefällt ihm und ihr so gar nicht.

Auch wenn an dieser Stelle angedeutet, gelingt der Übertrag in die heutige Zeit nicht. Kein Seitenhieb in Richtung Gendersternchen, keine Anspielung auf die Diskussion um Geschlechter-Identität. Es bleibt dabei, das Publikum schaut dem Paar zu wie durch eine zwar transparente, aber doch undurchdringliche Scheibe im zeitlosen Raum.

Überragend gut hat Bühnen- und Kostümbildnerin Julia Schnittger wiederum die Sprünge durch die Zeit lösen können. Mit schlichten Accessoires wie einer Halskrause, einer Melone, transparenten Regenjacken, einem Korsett, das silbern glänzend einem Kettenhemd ähnelt und durch einen angedeuteten Reifrock ergänzt wird, definiert sie eindeutig die Zeit und die Rollen des und der Orlando. Auch die wandelbare, weiße Kleidung der Orlandos ist so androgyn, dass jede Facette der Figur möglich ist.

Musikalisch kam Orlando ebenfalls im Hier und Jetzt an: Der für die Musik verantwortliche Adrian Laugsch arbeitete mit Techno-Sounds, befremdlichen Unterwasser-Geräuschen und sphärischen Klängen.

Insgesamt unterhaltsam und etwas für’s Auge – und doch fehlt der Funken, der auf das Publikum überspringt.

 
 
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