Walheim Wie ein Verweigerer doch noch zur Bundeswehr kam

Von Helena Hadzic
Pfarrer Thomas Thiel während seiner Zeit als Militärseelsorger in Afghanistan. Vier Monate verbrachte er mit den Soldaten im Kriegsgebiet. Foto: Thomas Thiel

Als Militärpfarrer betreute Thomas Thiel viele Soldaten mit Traumata und war selbst vier Monate lang mit der Bundeswehr im umkämpften Afghanistan.

Ein lauwarmer Wind weht durch die leeren Straßen, während allmählich die Sonne am Firmament aufgeht. Es ist still in Afghanistans Hauptstadt Kabul – eine Stille, die so sowohl beruhigend als auch beunruhigend ist. Denn jederzeit kann es zum Beschuss durch die Taliban kommen. Dr. Thomas Thiel, ursprünglich aus Walheim, ist einer unter den vielen Soldaten, die dort stationiert sind. Allerdings nimmt er keine Waffe in die Hand, sondern versucht als Militärpfarrer und damit als Angehöriger der Bundeswehr, den Soldaten Beistand zu leisten – und das obwohl er zu seiner Zeit Kriegsdienstverweigerer war und den Weg eines Geistlichen eingeschlagen hat.

Vier Monate war er mit 20 Soldaten der Rommel-Kaserne der baden-württembergischen Gemeinde Dornstadt im nahen Osten. Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem, für die Soldaten da zu sein und mit ihnen über ihre Sorgen zu sprechen. Ein Dienst, der einem Pfarrer viel abverlangt, wie Thomas Thiel erzählt. „Ich weiß noch, wie jemand einmal zu mir gesagt hat, dass alles gut wird, wenn ich als Pfarrer dabei bin“, erinnert sich Thiel.

Wie er die Zeit in Kabul und Kandahar empfunden hat, warum er diesen Weg überhaupt eingeschlagen hat und welche Sorgen seine Schützlinge beschäftigten, hat Thiel im Gespräch mit der BZ erzählt.

Theologie statt Bundeswehr

Thiel wurde 1963 in Besigheim geboren und wuchs in Walheim auf. Als Jugendlicher stand für ihn fest: Niemals zur Bundeswehr. „Es waren andere Zeiten, und ich wollte keine Waffe in die Hand nehmen“, erklärt der heute 60-Jährige. Vielmehr war er an Demonstrationen für den Frieden beteiligt, auch wenn er sich auch damals nicht direkt der Friedensbewegung zugeordnet hätte. Statt physischer Waffen wählte er die geistliche Waffenrüstung und wurde Pfarrer. Unter anderem studierte er in n Tübingen Theologie und war von 1998 bis 2011 der geschäftsführende Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Unterensingen im Kirchenbezirk Nürtingen.

Dann kam der Wechsel zur Bundeswehr Klinik Ulm, wo er die Stelle als Militärpfarrer antrat. Doch wie wird aus einem Kriegsdienstverweigerer ein freiwilliger Angehöriger der Bundeswehr? „Für mich war das eine fremde Welt. Ich wollte die Soldaten verstehen lernen“, sagt Thiel.

Die Gelegenheit bekam er dort, indem er den Soldaten, die meist zwischen 20 und 30 Jahre alt sind, einmal im Monat Ethik-Unterricht gab. „Das ist verpflichtend für Soldaten, sie sollen sich mit Themen wie Tod auseinandersetzen und über ihre Handlungen nachdenken“, erklärt er. Auch betreute er dort Trauma-Patienten, die aus einem Auslandseinsatz mit schweren psychischen Schäden zurückkehrten.

Drei Jahre später sollte auch Thiel einen solchen Einsatz miterleben. Nämlich als seelsorgliche Begleitung der 20 Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz International Security Assistance Force (ISAF) in Kabul und Kandahar in Afghanistan. „Es war eine sehr prägende Zeit für mich“, macht Thiel deutlich. Für die Bundeswehr ist ein Militärpfarrer eine große Hilfe, denn ein Soldat darf immer nur mit dem direkten und nächsten Vorgesetzten kommunizieren, mit weiteren Ranghöheren nicht. Thiel hingegen durfte als Pfarrer zwischen Soldaten und höheren Offizieren vermitteln. In einem Fall konnte er sogar den Rückflug eines Soldaten verhindern, erzählt er.

Die Zeit läuft weiter

Seine Hauptaufgaben waren die Gottesdienste, die er dort im Freien hielt, und die Seelsorge. „Viele Soldaten haben das Gefühl, dass die Zeit zuhause in Deutschland ohne sie weiterläuft“, erklärt Thiel. Sorgen um die laufende Beziehung, die eigene Ehe oder Familie beschäftigen die Männer in Uniform, selbst wenn sie umgeben von Waffen sind. Das vorherrschende Thema jedoch: Die Auseinandersetzung mit dem, was man sieht und was jederzeit geschehen kann – ein Angriff der Taliban.

Schuld spielt eine Rolle

Thiel erinnert sich noch gut an die Zeit in Afghanistan: „Kein Tag war wie der andere, man ist in einer Extremsituation. Wenn die Bombe kommt, geht es einzig und allein darum, am Leben zu bleiben und andere Leben zu retten“, erklärt er. Glücklichweise hat seine Truppe keinen einzigen Soldaten verloren – möglich gewesen war das aber zu jeder Zeit, allein die Gefahr rege zum Nachdenken an. Ob Thiel sich heute anders entscheiden würde als damals als Jugendlicher? „Vielleicht würde ich eine Waffe in die Hand nehmen, um meinen Nächsten zu retten“, sagt er heute.

Besondere Schuld spielte dahingehend in der Zeit nach seinem Auslandsaufenthalt eine wichtige Rolle in seiner Funktion als Leiter des Evangelischen Militärpfarramtes Berlin II. Im Bundeswehrkrankenhaus Berlin betreute er unter anderem traumatisierte Soldaten. „Viele wünschen sich nach ihrem Einsatz Vergebung, und da komme ich als Militärpfarrer ins Spiel“, sagt er. Ein Soldat habe beispielsweise immer einen Mann im Traum gesehen, den er erschossen hatte. Stellvertretend habe Thiel im vergeben. „Das hat ihm geholfen, und das ist letztendlich der Auftrag eines Militärpfarrers“, so Thomas Thiel.

 
 
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