Zweiter Weltkrieg Stadt in Schutt und Asche gelegt

Von Martin Hein
Ein Nachtjäger des Typs Bf 110 G-4 des in Großsachsenheim stationierten Nachtjagdgeschwaders 6. Oberfeldwebel Günter Bahr war mit einer Messerschmitt Bf 110 G-4 über Pforzheim im Einsatz.⇥ Foto: Buschmann/Hein

Vor 75 Jahren haben am 23. Februar 379 englische Bomber Pforzheim angegriffen. Deutsche Nachtjäger vom Großsachsenheimer Flugplatz haben sich den Bombern entgegengestellt.

Fliegeralarm war in den Jahren 1944 und 1945 keine Seltenheit. Der Krieg wurde längst auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen. Deutschland ist für die Alliierten das Ziel des so genannten „uneingeschränkten“ strategischen Luftkriegs. Nach den Bombenangriffen am 13. und 14. Februar 1945 auf Dresden, ist am 23. Februar Pforzheim das Ziel der englischen Bomberflotte.

Das Kriegstagebuch des Nachtjagdgeschwaders 6, dessen erste Gruppe auf dem Eichwaldgelände in Großsachsenheim stationiert ist, vermerkt erst gegen 19.45 Uhr das überraschende Auftreten eines Kampfverbandes von etwa 200 Flugzeugen südwestlich von Karlsruhe.

Luftalarm in Pforzheim

Um 19.48 Uhr heulen die Sirenen in Pforzheim. Die Menschen rennen in die Luftschutzräume. Seit wenigen Minuten kreist ein englischer Bomber vom Typ Lancaster über der Stadt. Am Steuerknüppel sitzt Captain Edwin Swales von der 582 Squadron. Er ist für den nun bevorstehenden Bombenangriff auf Pforzheim der so genannte Masterbomber, das heißt, er leitet diesen Angriff. Er ist verantwortlich, dass die 743 Tonnen Hochexplosiv-Bomben und 833 Tonnen Brandbomben seiner tatsächlich 379 Flugzeuge umfassenden Bomberflotte auch präzise die Stadt treffen und nicht zu früh oder zu spät abgeworfen werden oder das Ziel verfehlen.

Gegen 19.51 Uhr erhalten von den Nachtjäger-Flugplätzen in Großsachsenheim und Schwäbisch Hall jeweils drei so genannte Spitzenbesatzungen den Einsatzbefehl. Sofort starten vom Großsachsenheimer Flugplatz zwei Nachtjagdmaschinen vom Typ Junkers Ju 88 G6. Am Steuerknüppel der einen Maschine sitzt Hauptmann Gert Friedrich, die andere Ju 88 fliegt Oberleutnant Wilhelm Engel, im Cockpit einer Messerschmitt Bf 110 G-4 sitzt Oberfeldwebel Günther Bahr. Zwischenzeitlich wirft ein englisches Mosquito-Flugzeug nach Anweisung von Captain Swales rote Zielmarkierungen, so genannte Christbäume, über der totgeweihten Stadt Pforzheim ab.

Um 19.54 Uhr treffen die ersten Bomber über der Stadt  ein und werfen die ersten Bomben ab. Das Sterben beginnt. Die erste Bomberwelle wirft Minen und Sprengbomben. Die Luft ist vom Dröhnen der Bomber und Wummern der Explosionen erfüllt. Am Boden werden durch die Bomben Hausdächer aufgerissen, Trümmer durch die Gegend geschleudert, Flächenbrände entstehen und entfachen einen höllengleichen Feuersturm. Gegen 20 Uhr treffen die deutschen Nachtjäger über Pforzheim ein. Hauptmann Friedrich erkennt im Feuerschein über der brennenden Stadt eine englische Lancaster und eröffnet sofort das Feuer. Die Lancaster stürzt östlich von Pforzheim ab.

Angriff auf den Masterbomber

Captain Swales dirigiert gegen 20.02 Uhr bereits die dritte Bomberwelle über das Zielgebiet. In diesem Moment wird er selbst von einem deutschen Nachtjäger angegriffen. Günter Bahr feuert zwei Salven aus seiner Bf 110 auf die Lancaster mit dem auffallend markierten Heckleitwerk, dem Erkennungszeichen der Masterbomber-Maschine. Der linke Innenmotor des englischen Bombers brennt sofort, der rechte Innenmotor wird ebenfalls getroffen. Der Bordschütze des englischen Bombers feuert rund 300 Schuss auf die angreifende Messerschmitt, trifft jedoch nicht. Swales leitet mit seiner beschädigten Maschine auch den Angriff der vierten Bomberwelle, die ab 20.06 Uhr Bomben auf die Stadt abwirft. Bei den Luftkämpfen, die sich in rund 3000 Metern Höhe abspielen, spüren die Flugzeugbesatzungen in ihren Maschinen die Hitze der infernalischen Brände die sich in Pforzheim zu riesigen Flächenbränden ausgedehnt haben. Um 20.11 Uhr fallen die letzten Bomben. Auch Captain Swales versucht nun mit seiner schwer beschädigte Maschine nach England zurückzufliegen. Zwischenzeitlich landen die deutschen Nachtjäger wieder auf ihren Flugplätzen. Fünf der sechs eingesetzten deutschen Nachtjäger haben zwölf englische Lancaster-Bomber abgeschossen. Gegen 23 Uhr erkennt Swales, dass er seine schwer beschädigte Maschine nicht länger in der Luft halten kann. Er befiehlt seiner Besatzung mit dem Fallschirm abzuspringen. An der belgisch-französischen Grenze versucht er eine Notlandung. Seine Maschine verfängt sich in einer Stromleitung und explodiert. Swales überlebt die Notlandung nicht.

In Pforzheim kämpfen Rettungskräfte verzweifelt gegen die unvorstellbaren Brände. Entsetzliche Szenen spielen sich ab. In dem durch das Bombardement entfachten Feuersturm entstehen Temperaturen von weit über 1000 Grad. Menschen verbrennen in diesem Höllenfeuer, ersticken in den Luftschutzräumen oder werden sofort durch die Explosionen und Trümmer getötet. Auf einer Fläche von rund 230 Hektar steht kein Haus mehr.

Stadtkern vollkommen zerstört

98 Prozent des historischen Stadtkerns sind vollkommen zerstört. Die Aufräumarbeiten dauern mehrere Wochen. 17 600 Menschen sind an dieser Nacht in Pforzheim gestorben. Auch drei Angehörige der in Großsachsenheim stationierten Nachtjäger-Stabskompanie sind unter den Todesopfern: Die Obergefreiten Wilhelm Hetz, Josef Zobel und der Oberfeldwebel Hans Unger. Die drei Luftwaffensoldaten waren an jenem verhängnisvollen Tag von Großsachsenheim aus auf Dienstreise in Pforzheim.

Info Der Bombenangriff auf Pforzheim gilt als einer der konzentriertesten Bombenangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg. Keine deutsche Stadt hat im Vergleich zur Gesamteinwohnerzahl höhere Verluste erlitten. Pforzheim unterhält eine Partnerschaft mit der spanischen Stadt Guernica, die 1937 im spanischen Bürgerkrieg von der deutschen Legion Condor schwer zerstört wurde.

 
 
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