Landkreis Ludwigsburg Virtuell durch die Neckarterrassen

Von Helena Hadzic
Eine Simulation der Neckarterrassen im Höchstleistungsrechenzentrum in Stuttgart. Foto: Höchstleistungszentrum Stuttgart

Eine virtuelle Kopie der Steillagen am Neckarufer soll potenzielle Landschaftsveränderungen der Kulturlandschaft vorhersagen und Probleme analysieren. Zwischenergebnisse gibt es im Herbst.

Kalte Winde wehen am Dienstagvormittag im Neckartal. Auf dem Schubboot „Delphin“, das den Fluss entlanggleitet, sind die Diskussionen dagegen heiß – immerhin sind die terrassierten Steillagen am Neckarufer Thema an diesem Tag. Und diese gelten bekanntlich als erhaltenswertes Kulturgut. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Kreis mit circa 370  Hektar eine der größten Flächen an terrassierten Steillagen zu bieten hatte. „Diese werden allerdings immer weniger“, erklärt Claus-Peter Hutter, Naturschützer aus Benningen und Präsident von Nature-Life International. Die Gründe dafür seien vielfältig, meint er. So sind beispielsweise Zweckentfremdungen der Flächen kein seltenes Thema auf den Grundstücken der Neckarschleife.

Der Grund, warum das Schubboot des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts (WSA) an diesem Dienstag eine Reise von Marbach nach Hessigheim hinter sich brachte, ist ein Modellprojekt des Höchstleistungsrechenzentrums (HLRS) an der Universität Stuttgart, nämlich „Digitaler Zwilling Neckarterrassen“. Der Landkreis Ludwigsburg ist hierbei Projektpartner. Dabei handelt es sich um eine virtuelle Simulation, die auf der einen Seite visuell durch die terrassierten Steillagen führt, auf der anderen Seite Inhalte und Informationen liefert. Vor allem aber kann damit analysiert werden, welchen Landschaftsveränderungen die Steillagen am Neckarufer entgegensteuern.

Was steckt dahinter?

Für den Projektstart ist Landrat Dietmar Allgaier um 10 Uhr zur Schiffsanlegestelle nach Marbach gekommen. Mit von der Partie waren unter anderem auch Hessigheims Bürgermeister Günther Pilz, Mundelsheims Schultes Boris Seitz, Gemmrigheims Bürgermeister Jörg Frauhammer und Besigheims frisch gekürter Bürgermeister Florian Bargmann sowie Naturschützer, Genossenschaften, Wengerter und weitere Interessenten. Sie erfuhren nach einer Bootstour in der Hessigheimer Hotel- und Weinmanufaktur „Ex-Nicrum“, was hinter dem Modellprojekt mit Brille und „Cave“ steckt.

Projektinitiator Hutter machte jedoch klar: „Die Simulation wird nichts bringen, wenn sich keine Menschen finden, die Maßnahmen daraus ableiten“. Dem stimmte Allgaier zu und stellte gleich zu Beginn fest, dass die Sorge um die Kulturlandschaft groß ist. „Die derzeitige Entwicklung zeigt, dass die Steillagen in Gefahr sind“, sagte er. Konkret meint er, dass immer mehr Flächen verwahrlosen, weil sich niemand mehr darum kümmert. Beispielsweise durch Verbuschung und eine anderweitige Nutzung der Grundstücke. Wolfgang Bechtle vom Dezernat 2 (Umwelt, Technik, Bauen) des Landratsamtes Ludwigsburg betonte in diesem Zusammenhang: „Wir werden gegen Zweckentfremdung rechtlich vorgehen.“

Außerdem müsse man Wengerter und „Hobby-Wengerter“, wie es Martin Heim aus Benningen ist, stärker unterstützen, darin waren sich alle Anwesenden einig. Heim ist ein sogenannter „Wengerter auf Probe“ – eine Aktion aus Benningen –, der sich freiwillig um die Arbeiten in den Weinbergen kümmert. „Es braucht mehr Heimatliebe“, sagte er am Dienstag auf dem Schubboot. Und damit meinte er eben die Betreuung der Steillagen.

Apropos Steillagen – nach einer Bootstour mit viel Autausch begrüßten Fabian Alber, Wengerter und Kellermeister, und Mitinhaber Dr. Herbert Müller die Bootsgäste in der Weinmanufaktur „Ex-Nicrum“ in Hessigheim. Darunter waren auch Professor Dr. Michael Resch, Direktor des HLRS, Uwe Wössner, Leiter der dortigen Visualisierungsabteilung, sowie Thomas Obst, wissenschaftlicher Mitarbeiter, die den „Digitalen Zwilling Neckarterrassen“ vorstellten. Damit wurde auch der offizielle Projektstart eingeläutet. Doch was ist überhaupt ein „Digitaler Zwilling“? Es handelt sich dabei um eine digitale Kopie eines Objekts, eines Systems oder gar einer Umgebung aus der realen Welt.

Veränderungen sichtbar machen

In diesem Fall also um eine Kopie der Neckarterrassen. Das sogenannte 3D-Modell ist virtuell, dynamisch, visuell aufbereitet und wird in einem sogenannten „Cave“ auf einer LED-Leinwand erlebbar gemacht – in einer kleinen Zelle im Höchstleistungsrechenzentrum, die von drei Wänden sowie Decke und Boden umschlossen wird. Mit einer 3D-Shutterbrille – für den 3D-Effekt – kann man sich darin durch die terrassierten Steillagen führen lassen und Informationen abrufen. Die entsprechenden Aufnahmen und Bilder dafür wurden im Vorfeld mit Hilfe einer Drohne gewonnen, die die Neckarschleife abgeflogen ist. Dabei geht es aber nicht nur um Visualisierung, sondern auch um die Analyse der Daten, wie etwa kaputte Gebiete oder aufgegebene Flächen. So werden beispielsweise auch potenzielle Landschaftsveränderungen unter verschiedenen Projektionen sichtbar, selbst wenn diese in der Zukunft liegen – auch mithilfe von künstlicher Intelligenz.

Wozu das gut sein soll? „Das ist nicht für die Experten gedacht, denn die kennen die Daten und Fakten bereits. Dabei geht es vielmehr um Bürgerbeteiligung“, erklärt Obst auf Nachfrage. Und das alles mithilfe modernster Technologie. „Es ist beeindruckend, dass auf diese Weise unserem Kulturgut geholfen werden kann“, meinte Landrat Allgaier.

Im nächsten Schritt sollen Dokumentationen folgen und Workshops angeboten werden, um Erkenntnisse zusammenzutragen. Die Ergebnisse werden öffentlich sein, es liegen im besten Fall bereits Zwischenergebnisse vor, kleinere Ergebnisse gebe es jetzt schon, erklärt Obst. Die Finanzierung für das Projekts sei für dieses Jahr bereits auf den Weg gebracht worden, sagte Allgaier. Doch fest steht: „Ein 3D-Drucker druckt keine Menschen aus, die die Flächen bewirtschaften“, so Claus-Peter Hutter.

 
 
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