Tamm Kein „WC für alle“ am Bahnhof

Von Michaela Glemser
In Tripsdrill gibt es bereits eine „Toilette für alle“. Foto: Mara Sander

Eine Mehrheit im Gemeinderat entscheidet sich gegen die teurere Lösung, die auch Schwerstbehinderte hätten nutzen können.

Nachdem das Bahnhofsgebäude verkauft wurde, kann die einstige öffentliche Toilette in besagtem Haus nicht mehr benutzt werden. Die Gemeinderäte wollen der Bevölkerung und den auswärtigen Besuchern aber weiterhin eine Toilette im öffentlichen Raum in der Nähe des Bahnhofs und der Stadtmitte anbieten. Gelegenheit dazu bietet sich auf dem Park-and-Ride-Parkplatz unmittelbar neben dem Bahnhofsgebäude. Ein entsprechender Gestattungsvertrag mit dem Eigentümer der Fläche, der Deutschen Bahn, wurde bereits abgeschlossen.

In ihrer jüngsten Sitzung haben die Tammer Gemeinderäte über verschiedene Varianten einer öffentlichen Toilette diskutiert. Möglich ist eine barrierefreie Einraum-WC-Anlage, die allerdings nicht über Einrichtungen wie eine fahrbare Liegefläche für Schwerstbehinderte verfügt. Die Kosten dafür wurden auf rund 234 000 Euro beziffert. Möglich ist auch eine Zweiraum-WC-Anlage mit seinem zusätzlich separaten Pissoir für Männer. In die Umsetzung dieser Alternative müssten rund 292 000 Euro investiert werden. 341 000 Euro kostet eine sogenannte „Toilette für alle“, die auch schwerstbehinderte Menschen nutzen können. Für alle drei Varianten ist eine Glasfassade vorgesehen.

„Die Bezuschussung für eine ‚Toilette für alle‘ dürfte bei maximal 12 000 Euro liegen. Tamm wird in der dritten Kategorie mit durchschnittlich bis zu 59 Besuchern am Tag in öffentlichen zugänglichen Einrichtungen geführt“, erklärte Bürgermeister Martin Bernhard. Ratsmitglied Dr. Simone Schievink machte deutlich, dass für ihre Entscheidung letztlich eine Kosten-Nutzen-Analyse entscheidend gewesen sei und sie daher für eine Einraum-Toilette plädiere, die behindertengerecht, aber nicht schwerstbehindertengerecht sei.

Kosten-Nutzen-Abwägung

Karin Vogt von den Grünen stellte dagegen klar, dass, wenn Inklusion gefördert werden solle, dafür auch Geld in die Hand genommen werden müsse. „Wir könnten bei der Ausstattung für Schwerstbehinderte mit den Betroffenen noch ins Gespräch gehen, um abzufragen, was unbedingt notwendig ist und wo es noch Einsparmöglichkeiten gibt“, berichtete Vogt. Ratsmitglied Lukas Tietze von der CDU stellte klar, dass es im ganzen Landkreis Ludwigsburg nur eine „Toilette für alle“ beim Barockschloss Ludwigsburg gebe und dessen Frequentierung nicht mit dem Bahnhof in Tamm vergleichbar sei. Er plädierte für die Umsetzung der Einraum-Toilette und forderte dazu auf, nach weiteren Einsparmöglichkeiten zu suchen.

Wolfgang Günther von der Liste Lebenswertes Tamm (LLT) stellte klar, dass in der Vergangenheit schon viele Maßnahmen in Tamm umgesetzt worden seien, um behinderten Menschen den Alltag, Verkehr und die Mobilität zu erleichtern. Die Ausführungskosten seien dabei nie das erste Argument gewesen, so Günther. „Für die LLT ist es daher mehrheitlich nur konsequent, die Ausführung der öffentlichen Toilette so zu erstellen, dass es allen Bürgern und Reisenden möglich ist, diese auch zu benutzen“, unterstrich er und sprach sich für die „Toilette für alle“ aus.

Keine gesetzliche Verpflichtung

Bürgermeister Bernhard erläuterte, dass es beim barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen beispielsweise deshalb keine Diskussion um die Notwendigkeit gegeben habe, weil dies eine gesetzliche Vorgabe gewesen sei. Gemeinderätin Sonja Hanselmann-Jüttner erinnerte an die Haushaltslage der Stadt und die stetigen Nachfragen der LLT-Fraktionsmitglieder, ob bestimmte Projekte tatsächlich umgesetzt werden müssten. Die SPD-Rätin schlug vor, mit der Ausschreibung der Toilette noch abzuwarten und zu schauen, was bei der „Toilette für alle“ unbedingt umgesetzt werden müsste. „Einsparmöglichkeiten bei der ‚Toilette für alle‘ werden kaum zu finden sein. Wenn diese verwirklicht werden soll, müssen wir im Etat 2024 auch Einsparungen von mindestens 100 000 Euro finden“, mahnte Bürgermeister Bernhard.

Alexander Maier schlug vor, wenn eine „Toilette für alle“ umgesetzt werden solle, sei diese im Bürgersaal besser angesiedelt als am Bahnhof. Bürgermeister Bernhard erteilte dieser Idee allerdings eine Absage, da im Bürgersaal der Platz dafür fehle. Schließlich votierte eine Ratsmehrheit gegen eine „Toilette für alle“ am Bahnhof und für die Einraum-WC-Anlage. 

 
 
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