Bezirkskantor Tobias Horn aus Besigheim Ein musikalischer Geniestreich

Von Gabriele Szczegulski
Bezirkskantor Tobias Horn dirigierte schon des Öfteren die Besigheimer Kantorei beim Bachschen Weihnachtsoratorium. Foto: /Martin Kalb

Das Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach ist eines der berühmtesten geistlichen Kompositionen. Der Besigheimer Bezirkskantor Tobias Horn ist ein Experte des Werks und erklärt es den BZ-Lesern.

Als „ein Gipfel in der musikalischen und theologischen Konzeption“ sei das Weihnachtsoratorium einzigartig und alle nachfolgenden Weihnachtswerke stünden in dessen Schatten, würden Teile zitieren oder sich auf das Bachsche Werk bewusst beziehen, sagt der Besigheimer Bezirkskantor Tobias Horn. Er selbst habe das Weihnachtsoratorium schon häufig aufgeführt. „Nichts bringt die Weihnachtsgeschichte besser zum Tragen und ist in seiner Bedeutung und Komposition so zeitlos“, sagt er.

Natürlich weiß der Kirchenmusiker auch vieles über das Werk und seine Entstehung. Als Spätwerk entstanden, wurde es zuerst nicht als Oratorium bezeichnet. Das Werk besteht aus sechs Kantaten, die an sechs Sonntagen – dem zweiten Weihnachtsfeiertag, dem Tag danach, an Neujahr, am Sonntag nach Neujahr und am Erscheinungsfest am 6. Januar aufgeführt werden sollten. Wie viele Kompositionen in Bachs Spätwerk ist der zyklische Gedanke bewusst gewählt, um eine biblische Thematik musikalisch darzustellen.

Keinen Bach ohne Heinrich Schütz

„Eigentlich vermischen sich im Oratorium drei Gattungsbegriffe“, erklärt Horn. Zum einen ist da die „Historie“, eine im 17. Jahrhundert verwendete musikalische Form der Lutherischen Kirchenmusik, wie Heinrich Schütz sie mit seiner Weihnachts-Historie komponierte. Bach kannte das Werk und war wie Schütz durch die italienische Oper beeinflusst.

Ein weiterer Bestandteil der Kirchenmusik ist die Kantate. „Bach verwendete alle Gattungen, fügte neue, weitere Teile hinzu, so schuf er eine musikalische Szenerie, ohne tatsächlich eine Theaterszene zu brauchen“, sagt Horn.

Die Bachschen Kompositionen, so Horn, gebe es nicht ohne Heinrich Schütz, ohne die italienische Oper, ohne Martin Luther, ohne Paul Gerhardt und ohne die pietistische Barockmystik. Und dennoch habe Bach alle Einflüsse aufs Höchste vervollkommnet. Wie im 18. Jahrhundert üblich hat Bach sein groß angelegtes Werk nicht komplett neu komponiert, sondern früher entstandene Stücke wiederverwertet, wie viele geistliche Komponisten es mit seinem Werk gemacht haben. Knapp ein Drittel der Nummern aus dem Weihnachtsoratorium stammt ursprünglich aus anderen Zusammenhängen.

Darunter auch der so beliebte Chor aus der ersten Kantate „Tönet, ihr Pauken! Erschallet Trompeten!“ oder das von Luther komponierte „Vom Himmel hoch“. Es sei ein Geniestreich von Bach, dass er durch seine Komposition die Weihnachtsgeschichte quasi inszenierte.

„Alle Teile des Oratoriums sind so komplex, so voller Symbolik, aber dennoch gut verständlich, sodass das Weihnachtsoratorium populär werden musste“, sagt Horn. Bach habe es hervorragend verstanden, die Musik für die biblische Botschaft zu verwenden, aber nicht als Werkzeug, sondern indem er die Musik zur Botschaft selbst mache.

Ton begeistert die Menschen

Choralmelodien aus der Kantate „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ weisen schon auf die Zukunft der Jesus-Geschichte hin. „Vom Alten Testament bis hin zur Passion geht Bachs Erzählung“, sagt Horn. Die Komposition passe perfekt zu den Bildern der Weihnachtszeit. Sie finde einen Ton, der Tausende Menschen Jahr für Jahr aufs Neue begeistere, ob als Sängerinnen und Sänger oder im Publikum. Deshalb ist das Weihnachtsoratorium von Bach das mit großem Abstand meistaufgeführte Klassikwerk der Advents- und Weihnachtszeit, zumindest in Deutschland. Heute wird das Oratorium meist nur in Teilen aufgeführt, zumeist die Kantaten 1 bis 3.

Musik und Weihnachten

Für den Besigheimer Bezirkskantor ist die Verbindung Musik und Weihnachten eine „zutiefst biblisch begründete“ und keine Erfindung der Reformation. „Schon in der Bibel wird gezeigt, dass, wenn Menschen die Nähe Gottes spüren, sie in Gesang verfallen“, sagt Horn. Aber nicht nur theologisch verkopft sei das Meisterwerk, sondern emotional berührend und „ins Herz gehend“. „Jauchzet, Frohlocket!“ - dieser Unisono-Ausruf des Chores ist für viele Menschen das Startsignal für die festliche Stimmung. Oder „Ach du mein liebes Jesulein“ ist eine emotionale Liebesbezeugung.

Um das Bachsche Weihnachtsoratorium aufzuführen, so Horn, sei es für den musikalischen Leiter notwendig, Entscheidungen zu treffen. „Was lässt man weg, wie inszeniert man die Bachschen Verzierungen.“ Man müsse Musik und Inhalt des Werks verstanden haben, nicht nur als Dirigent sondern auch die Sänger müssten sich mit dem Werk auseinandersetzen.

„Das Werk ist intellektuell für die Interpreten herausfordernd. Phrasierungen, Zäsuren, Texthinweise, Beschreibungen müssen durch die Musik vermittelt werden“, sagt der Kantor. Der Künstler sei das Medium, das die Botschaft zu den Menschen bringt, „das ist keine einfache Sache“, so Tobias Horn.

Das Weihnachtsoratorium BWV 248 ist ein sechsteiliges Oratorium für Soli, gemischten Chor und Orchester von Johann Sebastian Bach. Die einzelnen Teile wurden erstmals vom Thomanerchor in Leipzig in den sechs Gottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag 1734 und dem Epiphaniasfest 1735 in der Nikolaikirche und der Thomaskirche aufgeführt. Feierliche Eröffnungs- und Schlusschöre, die Vertonung der neutestamentlichen Weihnachtsgeschichte in den Rezitativen, eingestreute Weihnachtschoräle und Arien der Gesangssolisten prägen das Oratorium. Die sechs Teile werden durch die Freude über die Geburt Christi verbunden. Von der musikalischen Gattung steht das Weihnachts-Oratorium Bachs oratorischen Passionen nahe. Es ist das populärste aller geistlichen Vokalwerke Bachs und zählt zu seinen berühmtesten geistlichen Kompositionen. Das Oratorium wird heute häufig in der Advents- und Weihnachtszeit ganz oder in Teilen aufgeführt. Die Gesamtspieldauer beträgt circa zweieinhalb Stunden.

Ein Oratorium, der Begriff kommt aus dem Italienischen von orare beten, Oratorium heißt Bethaus, nennt man in der musikalischen Formenlehre die dramatische, mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen, Chor und Orchester.

 
 
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