Soll man die Löhne absenken? Oder die ökologischen Standards lockern? Im Konferenzraum des Beruflichen Schulzentrums in Bietigheim-Bissingen wetteifern am Freitagmorgen im Rahmen eines Planspiels fünf „Firmen“, bestehend aus Lehrern der Schule, darum, wer bei der Schokoladenproduktion am besten wirtschaftet. Sechs Runden umfasst das Spiel – dann wird Bilanz gezogen. Und die zeigt laut Spielleiter Tobias Daur Folgendes: Dadurch, dass man in einem Unternehmen auf Gewinnmaximierung fixiert sei, blieben Dinge wie Lebensqualität oder Umwelt auf der Strecke. Spielerisch werde gezeigt, „wie das System an die Wand gefahren wird“.
Bietigheim-Bissingen Lehrer beschäftigen sich mit neuem Wirtschaftsmodell
Am Beruflichen Schulzentrum soll in der gymnasialen Oberstufe auch die „Gemeinwohl-Ökonomie“ thematisiert werden.
Daur kommt aus Münster und ist hauptberuflicher Berater in Sachen Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Dabei handelt es sich um ein von Christian Felber 2010 entwickeltes alternatives Wirtschaftsmodell mit dem Ziel einer „ethischen Wirtschaftskultur“. Unternehmen sollen demnach ihr Handeln an ethischen, sozialen und ökologischen Kriterien ausrichten. „Das System braucht andere Spielregeln“, sagt der GWÖ-Experte, der in Bietigheim ganz neue Unterrichtsmodule zum Einsatz brachte.
GWÖ-Tag für Oberstufe
Auch Schulleiter Stefan Ranzinger findet, dass solche Themen in den Bildungsplänen zu kurz kämen – deshalb hatte er Daur und zwei Kolleginnen eingeladen, um im Rahmen einer eineinhalbtägigen Lehrerfortbildung die Gemeinwohl-Ökonomie vorzustellen. 20 Lehrer aus den Fächern Wirtschaftswissenschaft, Religionslehre/Ethik und Gemeinschaftskunde nahmen daran teil.
Am 5. Dezember soll es dann einen GWÖ-Tag am Berufsschulzentrum geben, an dem die Lehrer ihre Erkenntnisse an die Schüler weitergeben – Planspiel inklusive. 18 Klassen der gymnasialen Oberstufe mit mehr als 400 Schülern sollen daran teilnehmen.
„Unsere Schüler können zwar Bilanzen lesen, wissen aber wenig über menschliche und ökologische Probleme, wenn in Preisen soziale Kosten und Umweltkosten verschwiegen werden“, ist Ranzinger vom Nutzen des GWÖ-Modells überzeugt. Die jetzigen Lehrplaninhalte beruhten auf einer „neoliberalen Wirtschaftsordnung mit kapitalistischen Grundzügen“.
In spielerischer Form
Seitens der beteiligten Lehrer fand es Ortrud Scherer (Gemeinschaftskunde) gut, bei dem Planspiel in die Rolle der Schüler schlüpfen zu können. Die Inhalte seien erhellend gewesen. Jochen Laupheimer (BWL) sprach von einem relevanten Thema. Der Blick auf Themen wie Wachstum, Nachhaltigkeit oder Ressourcenverbrauch sei geschärft worden. David Jäkel (Religionslehre) hob hervor, dass der Bogen zu den nicht-monetären Werten gespannt worden sei. Das Ganze nicht trocken, sondern in spielerischer Form.
Ob es auch Bedenken gebe? Scherer findet, dass der theoretische Unterbau etwas dürftig sei, Jäkel weist auf den hohen Aufwand hin, den Unternehmen für eine Zertifizierung hätten.
Nach dem GWÖ-Tag soll es eine Evaluation geben, die zeigen soll, ob sich der Aufwand gelohnt hat und ob das Thema im Unterricht implementiert wird.
Bislang rund 1100 Unternehmen GWÖ-zertifiziert
Die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) sieht sich als Bewegung mit regionalen, nationalen und internationalen Gruppen. Herzstück ist eine Gemeinwohl-Bilanz bei Unternehmen, welche parallel zur finanziellen Bilanz deren Beitrag zum Gemeinwohl erfassen soll. Laut GWÖ-Berater Tobias Daur haben sich bislang rund 1100 Unternehmen weltweit zertifizieren lassen. Auch das grün geführte Wirtschaftsministerium der Bundesregierung fördere die Gemeinwohl-Ökonomie durch Fördergelder.
Zu den Kritikern zählt beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler René Schmidpeter. Er bezeichnet das GWÖ- Konzept als „unterkomplex“ und sogar als Gefahr für das Gemeinwohl, weil es für die Unternehmen die falschen Anreize setze.