Cannabis und Jugendliche im Kreis „Legalisierung ja, aber unter Auflagen“

Von Heidi Vogelhuber
Aktuell nimmt laut Drogenberatern aus dem Kreis der Mischkonsum zu. Nicht nur Alkohol, Nikotin und Cannabis werden zeitgleich konsumiert, auch andere Drogen werden gemischt. Substanzen, die in Rap-Texten besungen werden, liegen besonders hoch im Kurs. Foto: imago/Shotshop/Monkey Business 2

Auch wenn Jugendliche von der Cannabis-Legalisierung ausgenommen sind, betrifft die Gesetzesänderung sie doch. Die BZ hat bei der Jugend- und Drogenberatung im Kreis Ludwigsburg nachgefragt.

Seit dem 1. April ist es in Deutschland legal, Cannabis zu konsumieren. Für Minderjährige bleibt Kiffen weiterhin verboten. Aber auch wenn es vor allem Eltern nicht gerne hören, ist Cannabis – neben Alkohol – eine Droge, die Jugendliche häufig konsumieren.

Die Cannabis-Legalisierung gilt zwar erst ab 18 Jahren, hat jedoch auch Auswirkungen auf Jugendliche. Die BZ hat bei „Chillout“, der Jugend- und Drogenberatung im Landkreis Ludwigsburg, nachgefragt, welche Auswirkungen die Legalisierung auf Jugendliche hat, wie der Status quo bei deren Drogenkonsum ist und was noch verbesserungswürdig ist am deutschen Cannabisgesetz. Träger von „Chillout“ sind Caritas und Diakonie (siehe Infobox).

Entkriminalisierung von Klienten

„Ich befürworte die Cannabis-Legalisierung, weil sie zur Entkriminalisierung unserer Klienten führt. Es sind aber noch zu viele Punkte offen“, sagt Birgit Schmolke-El Titi. Sie leitet den Bereich Suchthilfen bei der Caritas Ludwigsburg-Waiblingen-Enz. Man hätte bei der Gesetzesfindung mehr Experten aus der Suchthilfe miteinbeziehen sollen, sagt sie. „Sämtliche Suchtverbände positionieren sich der Legalisierung gegenüber positiv. Aber unter Auflagen“, sagt Matthias Liegl, der den Fachbereich Suchthilfe des Kreisdiakonieverbands Ludwigsburg leitet. Von den Auflagen sei jedoch nicht viel übrig geblieben. Erst ein Gesetz zu verabschieden und dann über Präventionsmaßnahmen nachzudenken sei die völlig falsche Reihenfolge. „Chancen werden da verpasst“, sagt Liegl und gibt zu bedenken, dass Cannabis keine Randerscheinung sei, sondern von Millionen von Menschen in Deutschland konsumiert werde.

Cannabis sei auch das Thema Nummer eins in der Jugend-Drogenberatung. Die Aufklärung müsse gerade seit der Legalisierung verstärkt vorangetrieben werden. „Es wurde versprochen, dass Gelder für die Prävention bereitgestellt werden“, so der Diakonie-Mitarbeiter. Ob das noch erfolge, sei fraglich. Schon jetzt fragen Schulen häufiger Präventionsevents an. Das sei natürlich positiv, müsse aber auch finanziert und personell gestemmt werden. „Und wir hier im Kreis Ludwigsburg sind noch relativ gut aufgestellt.“ Eines stehe trotz Legalisierung ab 18 Jahren fest: „Kinder und Jugendliche konsumieren trotzdem“, sagt Schmolke-El Titi. Vermutlich nehme der Konsum künftig sogar zu, weil es nun leichter sei, an Cannabis heranzukommen. Natürlich sei es untersagt, dass der große Bruder etwas an den Jüngeren abgibt. „Aber das ist völlig weltfremd“, so Liegl.

Auch stellt Schmolke-El Titi klar: „Den Schwarzmarkt gibt es weiterhin – und auch die legal verfügbaren Drogen gibt es weiterhin.“ Neue Drogen, die durch leichte Abwandlungen durch das Gesetzesraster fallen, sind, bis sie verboten werden, kurzzeitig legal zu bekommen. Und das ganz einfach: an Automaten.

Hexahydrocannabinol (HHC) etwa wird in Form von Gummibärchen oder als Flüssigkeit für E-Zigaretten (Vapes) angeboten. Die berauschende Wirkung ist vergleichbar mit THC, der gängigen psychoaktiven Substanz in Cannabis. Ob HHC harmlos oder schädlicher als THC ist: unbekannt. Gleiches gilt für Varianten der synthetischen Droge LSD, die man sich legal aus Automaten ziehen kann. Dafür reicht ein Ausweis eines 18-Jährigen. „Ich wünsche mir mehr Kinderschutz, denn ein Ausweis ist schnell organisiert“, sagt Schmolke-El Titi. Ein Schritt in die richtige Richtung wären Läden mit Personal. Dann könne zumindest eine bessere Altersprüfung erfolgen. Ähnlich wie es für die Cannabis Social Clubs (CSC) geplant ist.

Wichtig ist der Caritas-Mitarbeiterin zu sagen, dass die Jugendlichen keine Schuld trifft. „Jugendliche wollen Erfahrungen sammeln, wir verurteilen sie nicht dafür.“ Der Drogenkonsum sei jedoch unbedacht und leichtsinnig. So sei die Qualität des legalen Cannabis sicherlich besser, Jugendliche jedoch kaufen weiterhin ihr Gras am Schwarzmarkt. Schmolke-El Titi fände beispielsweise ein „Drug-checking“-Angebot gut. Ähnlich wie es für selbst gesammelte Pilze angeboten wird. Doch wer bezahlt das?

Auswirkungen auf das Gehirn

Das Gehirn ist bis ins Alter von 25 Jahren noch nicht vollständig entwickelt. „Die Altersgrenze, die den Konsum ab 18 Jahren erlaubt, ist daher schwierig“, sagt Henrik Metje. Der Sozialpädagoge ist Teil des „Chillout“-Teams am Standort Bietigheim-Bissingen.

Cannabis stört das Zwischenspiel der feinen Synapsen im Gehirn. Es wirkt sich unter anderem auch auf die Motivation aus, macht träge. Außerdem kann die Droge bei einer dementsprechenden Vorbelastung zu einer Psychose führen. Es gebe viele Jugendliche, die Cannabis konsumieren und keine größeren Probleme dadurch haben. Es gebe aber auch andere Fälle. Die wiederum landen bei der Suchtberatung, erklärt Schmolke-El Titi.

Gerade bei Schwarzmarkt-Ware könne die psychoaktive Substanz höher dosiert sei, wodurch das Risiko steige. Eltern müssten nun aber nicht in Panik verfallen. „Die wenigsten werden von Cannabis abhängig“, so die Suchtberaterin. Die meisten Süchte verwachsen sich mit zunehmendem Alter. Das Abhängigkeitsrisiko sei bei Nikotin und Alkohol deutlich höher als bei THC. „Deutschland hat sich zum Hochkonsum-Land entwickelt, was Alkohol betrifft. Das liegt an der Verfügbarkeit, ist aber auch kulturell so gewachsen.“ Es sei scheinheilig, Cannabis zu verteufeln, Minderjährigen aber Alkohol auszuschenken.

Ein weiterer Effekt der Cannabis-Legalisierung ab 18 Jahren: Bislang schickte die Jugendgerichtshilfe als Auflage Jugendliche zur Suchtberatung. Der Großteil dieser Auflagenklienten ist über 18 und wird daher wegfallen, prognostiziert Schmolke-El Titi.

Trend zum Mischkonsum

Aktuell sei eine Zunahme an polyvalenten Konsumenten, die also mehrere Drogen mischen, zu beobachten, so Liegl. Und das gerade in der „Hip-Hop-Stadt“ Bietigheim-Bissingen. „Die Rap-Texte featuren das.“ Besungen wird nicht nur Cannabis, auch Tilidin, Benzodiazepine und Kokain kommen in vielen Songtexten vor und motivieren zum Konsum, so Liegl.

„Die Jugendphase ist von der Abgrenzung vom Elternhaus geprägt“, sagt Henrik Metje. Wenn Eltern also ab und an Alkohol trinken, künftig vielleicht auch mal zum legalen (und daher vermeintlich harmlosen) Joint greifen, werden Jugendliche wohl eher zu anderen Drogen greifen, so die Vermutung des Sozialpädagogen. „Es wird eine Verschiebung stattfinden. Es wird sich zeigen, wie in den Familien damit umgegangen wird“, ergänzt Liegl.

„Chillout“: Jugend- und Drogenberatung im Kreis

„Chillout“ ist ein Kooperationsangebot von Caritas und Diakonie im Kreis Ludwigsburg. Finanziert wird es durch Kreis, Sozialministerium Baden-Württemberg sowie die Träger, Caritas und Diakonie. Niederlassungen gibt es in Ludwigsburg, Bietigheim-Bissingen und Kornwestheim. Die Beratung ist konfessionsunabhängig, kostenlos und unterliegt der Schweigepflicht.

www.drogenberatung-chillout.de

Aus dem Jahresbericht 2023 von „Chillout“
2023 hat „Chillout“ im Kreis 539 Menschen in 1887 Gesprächen beraten – 443 Jugendliche (75 Mädchen, 368 Jungen und zwei Diverse) und 94 Eltern. 16 Mädchen und 93 Jungen hatten Migrationshintergrund.

 
 
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