Am schmutzigen Donnerstag werden landauf landab Rathäuser von Narren gestürmt – so will es der Brauch der schwäbisch-alemannischen Fasnet. Doch in Ingersheim dreht die 1. Fasnetzunft der Holma’le den Spieß um: In einem genialen Schachzug haben es die Ingersheimer Narren beim Rathaussturm vor einem Jahr geschafft, die damals frisch amtierende Bürgermeisterin Simone Lehnert in ihre Reihen zu ziehen. Zudem stürmt man in Ingersheim eine Woche vor dem eigentlichen schmutzigen Donnerstag das Rathaus.
Fasnet in Ingersheim Frau Schultes wird zur Hexe
Am vergangenen Donnerstag stürmte Bürgermeisterin Simone Lehnert zusammen mit den Holma’le das Ingersheimer Rathaus. Alles rund um diese Fesnetstradition in der Gemeinde.
Geniestreich vor einem Jahr
Dieser Geniestreich geht auf Jochen Zoller, den Zunftmeister, und seine Mitstreiter zurück. Stolz trägt er die „Eier der Macht“, obwohl er krankheitsbedingt nicht im Häs unterwegs ist beim Rathaussturm. Die „Eier der Macht“ sind zwei flauschige Bommeln in den Farben der Zunft, rot und schwarz, die er an den Hüften trägt. „Den Rathaussturm gibt es seit unserer Gründung im Jahr 2014. Nächstes Jahr feiern wir unser erstes närrisches Jubiläum im elften Jahr“, erzählt er.
Obwohl in Ingersheim bekannt ist, dass die Bürgermeisterin in die Zunft gehört, staunen viele Zuschauer nicht schlecht, als Simone Lehnert im Häs erscheint mit leuchtend roter Stola um die Schultern. Wer wird mit Oberhexe Simone Lehnert in der närrischen Zeit im Rathaus regieren? Ein kleiner Marathon an Geschicklichkeitsspielen soll das stärkere Team ans Licht bringen. Wer gewinnt, bleibt an der Seite von Simone Lehnert auch in der närrischen Zeit.
Wie es dazu kam, dass die Holma’le die erste Lady im Ort in ihre Fänge brachten? „Das war ein kluger Schachzug von den Holma’le. Letztes Jahr haben sie den Rathaussturm so gestaltet, dass ich verschiedene Prüfungen ablegen musste, um Ehrenmitglied zu werden. Dann wurde ich mit jeder Aufgabe plötzlich mehr als Hexe verkleidet“, plaudert sie aus dem Nähkästchen.
Der Holma’le, die Symbolfigur der Zunft mit den langen Hörnern und zotteligem Fell stürmt voraus auf das Ingersheimer Rathaus zu, gefolgt von der Frau Hexenschultes und allen anderen Hexen. Simone Lehnert stellt fest, dass sie vor verschlossener Tür steht: Gemeinderäte und Rathausteam verteidigen „die Burg“ und lassen es Gummibären regnen.
„So einfach wie heute hatten wir es noch nie. Wir müssen uns nicht anschleichen und auf den Knien rutschen. Mit Hexe Simone in unserer Mitte sind wir jetzt immer der lachende Dritte“, verkündet Zunftmeister Jochen Zoller und ergänzt: „So müssen wir uns mit keinen Wettkämpfen mehr plagen und können regieren an allen Tagen.“ Im Fenster oben erscheint Gemeinderat Jürgen Fleischmann und tönt: „Die Bürgermeisterin hat sich auf die Seite der Hexen geschlagen. Das schlägt dem Rathaus auf den Magen und dem Gemeinderat noch viel mehr. Deswegen geben wir heute gar nichts her.“
Schnabel mimt Doppelgängerin
Und doch erscheint bald ein Pulk aberwitzig verkleideter Gestalten an der Rathaustür, als der Holma’le mit den Hörnern und die Hexen dort an der Türe rütteln. Harald Schnabel, Leiter des Liegenschaftsamts, erscheint in der blonden Perücke als Doppelgänger der Bürgermeisterin. Dann lassen die Narren die beiden Teams antreten bei so schönen Aufgaben wie Seilspringen mit einem Bein oder in der Hocke oder mit verbundenen Augen Luftballons mit einer Nadel zum Platzen bringen, die an einer Bierbank befestigt sind. Beim Sackhüpfen stehen gleich zwei aus einer Mannschaft mit einem Fuß im Jutesack. Zum krönenden Abschluss werden die Teams kreativ: Mit einem Kochlöffel um die Hüften und verbundenen Augen versucht jedes Team, mit roter Abtönfarbe ein Herz auf ein großes Blatt Papier zu malen und ein großes H in Schwarz darin zu platzieren. Das Rathausteam zieht als Gewinner mit Hexe Simone ins Rathaus ein für die närrische Zeit, während die Gemeinderäte sich die Hände reiben und bis Aschermittwoch „Faulenzia“ machen können. Am Ende flackert die Narrenfahne im Wind mit der Aufschrift: „Ab jetzt regieren wir im Flecken.“