Kommunikationsexperte Brettschneider ruft zu Gelassenheit auf Warum Gendern nötig ist

Von Claudia Mocek
Ob Gendersternchen, Binnen-I oder Doppelpunkt: Wenn es um gendergerechte Sprache geht, kommt es oft zu hitzigen Diskussionen. Der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider ruft zu mehr Gelassenheit auf.⇥ Foto: Martin Kalb

65 Prozent der Befragten haben Vorbehalte gegenüber gendergerechter Sprache. Professor Brettschneider erklärt, warum sie dennoch wichtig ist.

Frank Brettschneider, Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität in Hohenheim, erläutert seine Sicht auf gendergerechte Sprache.

Laut einer Umfrage (siehe unten) haben 65 Prozent der Befragten Vorbehalte gegenüber gendergerechter Sprache. Hat Sie das überrascht?

Frank Brettschneider: Ja, weil Sprache ja in Bewegung ist. Ich denke da an Nachrichtensendungen, bei denen die Genderpause mitgesprochen wird. Und auch in Verwaltungen und an Universitäten finden wir immer häufiger gendergerechte Sprache.

Lesen Sie hier, wie es die Verwaltungen im Landkreis mit dem Gendern halten.

Halten Sie die Umfrage für aussagekräftig?

Die Umfrage bildet sicher den aktuellen Stand ab. Die Frage ist aber, welche Schlüsse man daraus zieht. Zum Teil wird die Umfrage etwas voreilig politisch instrumentalisiert. Ich wäre da vorsichtiger. Wären immer noch zwei Drittel gegen das Gendern, wenn sie mehr Hintergründe kennen würden?

Welche Hintergründe meinen Sie?

Sprache beeinflusst das Denken. Studien zeigen zum Beispiel, dass sich Mädchen von bestimmten Berufen wie Pilot nicht angesprochen fühlen, wenn die weibliche Form nicht genannt wird. Wenn Sie das in einer Umfrage erläutern, werden Sie andere Antworten erhalten, als wenn Sie nur nach dem Gendersternchen fragen. Deswegen ist die Umfrage zwar nicht falsch. Aber daraus den Schluss zu ziehen, dass nicht gegendert werden sollte, wäre meines Erachtens zu kurz gegriffen. Man könnte sie auch so interpretieren, dass eine ausführlichere Debatte über die Gründe für das Gendern nötig ist.

Wie halten Sie es mit dem Gendern?

Bei uns an der Universität sind unter Lehrenden und Studierenden viele Varianten vertreten – Gendersternchen, Binnenpause oder das generische Maskulinum, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Es gibt dafür keine Vorschriften. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, wenn wir auch in der öffentlichen Debatte etwas entspannter an dieses Thema herangehen würden und nicht ideologisch oder verkrampft.

Woher kommt die oft schon aggressive Diskussion darüber?

Eine Diskussion über Sprache ist ja sinnvoll. Für einige Menschen sind die neuen Formulierungen einfach ungewohnt. Andere finden sie nicht schön. Wieder andere finden sie nicht sinnvoll. Darüber kann man diskutieren. Der aggressive Ton kommt rein, wenn es gar nicht um die Sprache geht, sondern um Symbole. Einige in der AfD sehen im Gendern ja schon fast den Untergang des Abendlandes. Auch einige Männer scheinen sich angegriffen zu fühlen. Da werden mit der Sprache auch Rollenbilder in Frage gestellt.

Wie kommt es zu Veränderungen?

Nicht mit der Brechstange. Aber mit Toleranz und mit Ausprobieren. Sprache ist ja nichts Fertiges. Sprache verändert sich. Mit Sprache kann man auch mal experimentieren. Lange Zeit wurde das Binnen-I verwendet. Dann gab es das Gendersternchen oder den Unterstrich. Das Sternchen ist mittlerweile recht gebräuchlich, der Unterstrich nicht mehr. Häufiger finden wir jetzt den Doppelpunkt. Wir sollten in der Lage sein, das auszuhalten.

Haben Sie ein Beispiel dafür, wie sich Sprache bisher verändert hat?

Oft merkt man es gar nicht mehr, weil es selbstverständlich geworden ist. Denken Sie an Begriffe aus der Jugendsprache – etwa an ‚cool’. Da haben die Älteren vielleicht noch die Nase gerümpft, aber inzwischen finden sogar Manager oder Managerinnen vieles ‚cool’. Und in der Business-Sprache werden Begriffe aus dem Englischen übernommen, wie ‚das Meeting’. Neue Begriffe tauchen auf, andere Begriffe verschwinden.

Warum ist die Diskussion übers Gendern so stark politisiert?

Weil die Diskussion auch mit politischen Motiven erfolgt. In den Anfängen haben vor allem Feministinnen den bisherige Sprachgebrauch angeprangert – als falsch und ausgrenzend. Das hat dann gleich Gegner des Feminismus auf den Plan gerufen. Und dann ist das Gendern zum Symbol geworden. Auf der einen Seite für das, was einige bewahren wollen, und auf der anderen Seite für das, was einige radikal ändern wollen. Und schon haben Sie einen Kampf.

Was halten Sie von dem Vorschlag, das Gendern in Verwaltungen zu verbieten?

Sprache und Verbote vertragen sich nicht. Man kann den sprachlichen Wandel nicht verbieten. Aber man kann Empfehlungen aussprechen.

 

Eine Umfrage und eine Einschätzung

Wie stehen Sie zur Nutzung der Gendersprache in Presse, Radio und Fernsehen? So lautet eine Frage, die Infratest Dimap im Mai 2021 an 1198 Befragte stellte. Ein Viertel von ihnen befürwortete etwa das Gendersternchen oder das Binnen-I. Zwei Drittel der Befragten lehnte die Verwendung ab. Als Reaktion auf die Umfrage schlug Steffen Bilger (CDU, MdB aus dem Landkreis Ludwigsburg) vor, „die Verwendung dieser Schreibweisen in der öffentlichen Verwaltung nicht länger zuzulassen“, da durch die Gender-Schreibweise „nicht wirklich Positives erreicht“ werde.⇥moc

 
 
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