Kreis Ludwigsburg „Inklusion heißt, dass jeder den selben Eingang nutzen kann“

Von Petra Neset-Ruppert
Cristina Da Silva Campos an einer Bushaltestelle mit Orientierungsrillen für Menschen mit Sehbehinderung. Die 29-Jährige sieht bei der Inklusion noch viel Luft nach oben, freut sich aber, dass es nun auch zweigeteilt abgesenkte Bordsteine in ihrem Wohnort gibt. Foto: /Oliver Bürkle

Cristina Da Silva Campos setzt sich beruflich und im Ehrenamt für Barrierefreiheit ein. Ein Gespräch über Bordsteine und DIN-Normen.

Das ist ein Thema, das mich immer begleiten wird“, sagt Cristina Da Silva Campos. Die Gemeinderätin aus Möglingen spricht von dem Thema Inklusion. Erst vor Kurzem beschäftigte sich die 29-Jährige in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema barrierefreies Bauen. Doch einen offenen Blick für Menschen mit Behinderung und auch deren Inklusion begann schon viel früher.

„Ich habe eine Cousine, die eine Behinderung hat“, erklärt Da Silva Campos, sie habe sie schon sehr früh für das Thema sensibilisiert. Direkt nach ihrem Realschulabschluss arbeitete sie als Jahresassistentin an der August-Hermann-Werner-Schule in Markgröningen, einem staatlichen Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum. Die Arbeit habe ihr viel Freude gemacht. Danach folgte eine Ausbildung zur Arzthelferin, der Eintritt in den Möglinger Gemeinderat und das Nachholen des Fachabiturs. Nun hat sie ihr Bachelorstudium als Wirtschaftsingenieurin absolviert und auch dabei die Inklusion nie aus dem Blick verloren.

Kampf durch den Regelwerk-Dschungel

„Beim Schreiben der Bachelorarbeit habe ich erst einmal gemerkt, dass häufig das Verständnis für Barrierefreiheit fehlt und diese auch für alle mitzudenken gar nicht so einfach ist“, sagt Da Silva Campo. Denn viele Verordnungen und DIN-Normen müssen bei Bauvorhaben mitgedacht werden. „Und dann ist das nicht mal bundesweit einheitlich, weil es neben der deutschlandweiten Musterbauordnung auch noch Landesverordnungen gibt. Das ist ein Regelwerk-Dschungel durch den man erst einmal kommen muss“, erklärt die Möglingerin, die portugiesische Wurzeln hat.

Barrierefreiheit als Herzensthema

„Wenn ich als Mensch mit einem Rollstuhl in den Zug steige, irgendwo in Baden-Württemberg und in Nordrhein-Westfalen wieder aussteige, dann haben doch alle die gleichen Bedürfnisse an die Barrierefreiheit, aber die Regelungen sind da nicht einheitlich“, kritisiert Da Silva Campo. Wenn die 29-Jährige über ihr „Herzensthema“ spricht, ist sie mit Eifer dabei.

In ihrer Bachelorarbeit kam dann auch die Frage auf, wie man Barrierefreiheit im Bauwesen attraktiv machen kann. Darauf weiß die 29-Jährige eine klare Antwort: „Es gibt Förderungen für energieeffizientes Bauen, die sollte es auch für barrierefreies Bauen geben. Wer sich Experten dazu holt, um zum Beispiel öffentliche Räume für alle nutzbar zu gestalten, sollte dafür auch finanziell unterstützt werden.“

Gerade bei Neubauten sei es wichtig, wirklich für alle mitzubauen und keine Sonderlösungen für Menschen mit Behinderung zu suchen. „Inklusion heißt, dass jeder den selben Eingang nutzen kann“, betont die gelernte Arzthelferin.

Auch bei ihrer Arbeit als Gemeinderätin ist sie immer wieder überrascht, wie wenig das Thema Barrierefreiheit bisher bei den Menschen in den Köpfen angekommen sei. „Unsere Entscheidungen sind dafür ausschlaggebend wie der öffentliche Raum aussieht, da sollten wir auch darauf achten, dass wir Menschen nicht ausgrenzen, denn Teilhabe ist ein Menschenrecht und wer irgendwo nicht hinkommt, weil es Barrieren gibt, der bleibt dann häufig zu Hause“, sagt Da Silva Campo. Damit verschwinden Menschen mit Behinderung auch aus dem Blick der Gesellschaft und das Bewusstsein dafür, was inklusiv ist, könne sich nicht entwickeln.

Auch sie habe bei ihrer Arbeit als Gemeinderätin lernen müssen, dass Barrierefreiheit nicht für jeden das gleiche bedeutet und dass Hürden, die für eine Person wichtige Orientierungspunkte seien, für andere zu unüberwindbaren Barrieren werden können. Deshalb freut sich Da Silva Campos, dass in Möglingen zum Beispiel auch zweigeteilte abgesenkte Bordsteine zum Einsatz kommen: „Ein sehbehinderter Mensch braucht eine gewisse Höhe beim Bordstein, um ihn ertasten zu können, für einen Menschen mit Rollstuhl oder Rollator sollte es quasi ebenerdig sein“, erklärt die Wirtschaftsingenieurin.

Viel Potenzial: „Es muss halt gemacht werden“

„Die Inklusion steckt bei uns in Deutschland noch in den Babyschuhen. Wir sind definitiv erst am Anfang“, sagt die 29-Jährige. Gerade beim barrierefreien Bauen stecke viel Potenzial für eine zügigere Inklusion. „Es muss halt gemacht werden. Es ist auch möglich. Man muss es nur wollen.“ Nach all der Arbeit im Gemeinderat und vor allem nach ihrer Bachelorarbeit könne sie nirgends mehr „einfach nur so“ herumlaufen. Immer wieder falle ihr auf, wenn sich Hürden im öffentlichen Raum auftun, die sie zwar leicht überwinden kann, für jemand anderes dies allerdings unmöglich wird. Deshalb hofft sie, dass immer mehr Kommunen frühzeitig bei Bauvorhaben Experten für Barrierefreiheit miteinbeziehen.

Für Cristina Da Silva Campos ist Inklusion dann erreicht, wenn „die Anforderungen von allen Menschen befriedigt werden. Dann passt es.“

 
 
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