Kunstausstellung in Ingersheimer Initiative „unARTig“ zeigt „Aktenordner Ordnung-Unordnung“

Von Helga Spannhake
Die Künstler, deren Werke im Ingersheimer Rathaus zu sehen sind (von links): Kathrin Hillermann, Cynthia Klett, Karin Lämmle, Otto Beer, Margot Kupferschmidt, Sigrid Kaulfersch-Freihofer, Anita Fried und Günther Sommer. Foto: /Martin Kalb

Bei der Schau im Rathaus rückt ein deutscher Gebrauchsgegenstand in den Mittelpunkt: Der nüchterne Leitz-Ordner. Die neun Künstlerinnen und Künstler nutzen ihn als Inspirationsquelle, verfremden ihn – und er wird dadurch zur Projektionsfläche. 

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och bis zum 11. April läuft die Ausstellung der Kunstinitiative „unARTig“, in der es um einen unverzichtbaren Begleiter des täglichen Lebens geht: Der Leitzordner wird einer Metamorphose unterzogen, wird in den Händen von neun Künstlerinnen und Künstlern zum variierbaren Kunstobjekt.

Aus dem schwarzen Jackett der Skulptur am Rathauseingang schauen weiße Hemdsärmel hervor. Ihre großen Holzhände halten sich einen Leitzordner vor das Gesicht. Auf dessen Rücken steht geschrieben: „Scham oder Feigheit?“. Künstler Otto Beer verweist mit seinem bemerkenswerten Kunstwerk auf all jene Angeklagten, die sich im Gerichtssaal einen Aktenordner vor ihr Gesicht halten. Von der Architektur fand Otto Beer zur Kunst, arbeitet gern mit der Kettensäge und stellt stets den Menschen, seine Gefühlslage, sein Wesen in den Mittelpunkt.

Unangepasste Kunst

So auch bei seinem anderen Werk in der Ausstellung, das er mit „Deutsche Ordnungsliebe“ betitelte: drei Aktenordner in ordentlicher Reihe und mit erschreckendem Inhalt. Der erste mit dem verwischten Hakenkreuz enthält Unterlagen der Gräueltaten der Nationalsozialisten. Mit einem von zahlreichen Nägeln versehrtem Kreuz auf der Front präsentiert sich der zweite Ordner und prangert den Missbrauch innerhalb der Kirche an. Ebenso brisant der dritte Ordner mit dem verwischten Staatswappen der DDR.

Unangepasste Künstlerinnen und Künstler

Die Kunstinitiative „unARTig“ der beiden Künstlerinnen Anita Fried und Karin Lämmle versteht sich als Initiative unangepasster Künstlerinnen und Künstler. Wichtig ist für sie authentische Kunst zu schaffen, die unbeeinflusst bleibt von Dogmen und Trends. Ihre Ausstellung rund um den Aktenordner sollte bereits vor zwei Jahren stattfinden – Corona machte, wie so oft, einen Strich durch die Rechnung. Doch konnte man die Kunstobjekte bereits in der Evangelischen Tagesstätte Löwenstein betrachten, wo „Aktenordner Ordnung – Unordnung“, aufgrund einer größeren Fläche mit doppelt so vielen Exponaten, vom Oktober bis Anfang Januar zu sehen war.

Ingersheim ist allerdings besonders prädestiniert als Ort, da Louis Leitz, der Erfinder des gleichnamigen Ordners im Jahr 1846 in Großingersheim geboren wurde, worauf die stellvertretende Bürgermeisterin Ursula Heinerich in ihrer Begrüßungsrede einging. Sie stellte den grauen Helfer als jedem bekannt vor: „Nüchtern, praktisch, unspektakulär, aber heute lernen wir eine neue Seite kennen, bunt, abgewandelt und eben unartig“.

Herausforderndens Material

Im Anschluss gab der Journalist Jörg Palitzsch eine kurzweilige Einführung zum durch und durch deutschen Gebrauchsgegenstand. Diese begann mit kurzen Episoden aus Louis Leitz Leben und ging über zu den ausgestellten Arbeiten, die das Thema „Ordnung – Unordnung“ sehr unterschiedlich aufgreifen: „Wobei der Aktenordner immer im Mittelpunkt steht. Er ist Projektionsfläche, Inspiration und praktischer Gegenstand zur Verfremdung in einem“, führte Jörg Palitzsch weiter aus.

Alle neun an der Ausstellung beteiligten Künstlerinnen und Künstler konnten ihre ganz eigene Vorstellung einbringen: „Das Material ist halt schon die Herausforderung“, erklärte Karin Lämmle und ihr war sofort klar, dass man da etwas daraus machen kann. So zeigt ihre beachtenswerte „MÜLLverORDNUNG“ unzählige kleine Tütchen voller bunter Konfettis und kritisiert den Umgang mit Ressourcen. Anita Fried dagegen fragte sich länger, wie sie die Ordner verfremden könnte. Mit ihren fünf „Home office“ Büro-Blumentöpfen sowie vier verkohlten Ordnerrücken gelang ihr das vortrefflich. Zu den, für die Kunstobjekte unabdingbaren Aktenordnern kam sie übrigens über das Studieren von Kleinanzeigen: „Leitzordner kostenlos abzugeben“ waren die Stichworte.

Weitere Infos

Die Ausstellung
„Aktenordner Ordnung – Unordnung“ ist bis zum 11. April 2023 im Ingersheimer Rathaus zu den üblichen Öffnungszeiten zu sehen. 

 
 
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