Landkreis Ludwigsburg „Die Lage ist katastrophal“

Von John Patrick Mikisch
Blick ins Leere: Die Versorgungslage mit Medikamenten ist weiter angespannt, wie der Apothekeninhaber Andreas Bühler aus Bietigheim-Bissingen kritisiert. Foto: Martin Kalb

Die Lieferschwierigkeiten bei den Medikamenten halten weiter an. Derzeit sind besonders bestimmte Antibiotika und Asthma-Medikamente knapp.

Katastrophal“ sei die Lage, sagt Andreas Bühler. Was der Apothekeninhaber aus Bietigheim-Bissingen damit meint, ist die Versorgung mit Medikamenten in diesem Winter. Denn wie im vorigen Jahr fehlt es gerade an allen Ecken und Enden.

Das sieht seine Kollegin Regina Schoch-Grimm ähnlich. Antibiotika-Säfte, Blutdrucksenker, Nasensprays, Hustenstiller und -löser, sogar Hustentees mit Primelextrakt sind gerade rar“, sagt die Inhaberin der Sachsenheimer Schloss-Apotheke. „Es ist immer etwas Neues.“ Die Versorgungslage verändere sich permanent. Fehlten vor Wochen noch Paracetamol und Ibuprofen, seien diese gerade verfügbar. „Insgesamt ist die Situation aber noch ein bisschen schlimmer als voriges Jahr“, sagt Regina Schoch-Grimm.

Kinder-Antibiotika sind knapp

Damals standen vor allem fehlende Fieber- und Antibiotikasäfte im Fokus der Aufmerksamkeit. Um Abhilfe zu schaffen, hatte der Gesetzgeber bereits im vorigen April erlaubt, beim Fehlen bestimmter Kinderantibiotika auch auf Alternativen zurückzugreifen, die lediglich im Ausland zugelassen sind.

Dadurch hat sich die Lage offenbar etwas entspannt. „Wir sind da diesen Winter etwas besser aufgestellt“, sagt Frank Eickmann, stellvertretender Geschäftsführer und Pressesprecher des Landesapothekerverbands (LAV) Baden-Württemberg. Dennoch gebe es weiterhin Engpässe. „Besonders große Sorge bereitet uns die Versorgungslage beim Antibiotikum Penicillin für Kinder“, sagt er. Das wird häufig gegen Streptokokken-Infektionen eingesetzt.

Weil Kleinkinder keine Tabletten schlucken können, bekommen sie Medikamente häufig als Zäpfchen oder als Saft verabreicht. „Penicillin-Säfte oder -Granulate sind momentan aber schwer bis gar nicht verfügbar“, stellt Frank Eickmann fest.

Lieferprobleme gebe es aber auch bei den Antibiotika für Erwachsene, speziell bei den Breitbandantibiotika, die bei unspezifischen Infekten verordnet werden. Dahinter steckt ein einfacher Mechanismus, wie Frank Eickmann erläutert: „Wenn ein Wirkstoff fehlt, weichen Ärzte auf ein Plan-B-Medikament aus, beispielsweise vom Breitband-Antibiotikum Amoxillin auf Penicillin.“

Das Problem: „Die Penicillin-Hersteller haben gar nicht die Kapazitäten, um die plötzliche Nachfrage zu befriedigen.“ So pflanzt sich der Mangel wie in einer Kettenreaktion von einem Medikament zum nächsten Ausweichpräparat immer weiter fort.

Die Suche nach geeigneten Ersatzmedikamenten hält die Apotheken auf Trab. „Wenn der Kunde krank vor der Ladentheke steht, schickst du den ja nicht weg, sondern versuchst alles, um ihm zu helfen“, sagt Andreas Bühler. Für ihn und sein Team heißt das: Großhändler abfragen, Ausweichmedikamente recherchieren, Rücksprache mit dem Arzt. „Das bindet Arbeitskräfte, kostet Zeit und Nerven“, sagt Andreas Bühler. „Wir rudern wie verrückt, um unsere Kunden zu versorgen.“

E-Rezept sorgt für Extra-Frust

Die Umstellung aufs E-Rezept verschärfe die Situation zusätzlich. „Viele Ärzte sind immer noch nicht darauf vorbereitet“, sagt Bühler. Die Fehlerquote bei den Abrechnungen mit den Krankenkassen sei von 0,1 auf 1,00 Prozent gestiegen: „Faktor 100“, rechnet Andreas Bühler vor.

Auch für die Patienten sei das E-Rezept noch mit viel Frust verbunden, sagt Apothekerin Regina Schoch-Grimm. Ist das verschriebene Medikament nicht vorhanden, kann der Patient per App auf dem Smartphone ein anderes vom Arzt bekommen – in der Theorie. „Aber nicht jeder hat ein Smartphone“, sagt Regina Schoch-Grimm. Das bedeutet: Der Patient muss persönlich wieder beim Arzt vorstellig werden – und hoffen, dass das diesmal verschriebene Medikament nicht ebenfalls von Lieferengpässen betroffen ist.

Wie umfangreich die Lieferprobleme sind, zeigt ein Blick in die Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz BfArM. Aktuell listet es rund 500 Arzneimittel auf, zu denen Lieferengpassmeldungen vorliegen. Das sind jedoch längst nicht alle, denn für die Hersteller gibt es lediglich eine Selbstverpflichtung, Lieferengpässe zu melden – und das auch nur bei sogenannten versorgungskritischen und verschreibungspflichtigen Wirkstoffen.

Die Hauptursache für die allgemeine Medikamentenknappheit ist sattsam bekannt: Die Krankenkassen haben die Herstellerpreise über Jahre massiv gedrückt. 2021 versehentlich bekannt gewordene Geheimverträge der AOK belegen, dass Hersteller der Krankenkasse Rabatte von fast 100 Prozent einräumen mussten.

Die Folge: Große Teile der Arzneimittelproduktion ist nach Asien abgewandert. Das betrifft vor allem die Herstellung von Wirkstoffen und Vorprodukten, die in Deutschland und Europa weiterverarbeitet werden. Kommt es dort zu Produktionsausfällen oder Lieferkettenverzögerungen, wirkt sich das unmittelbar auf die hiesige Produktion aus.

Besserung dauert wohl Jahrzehnte

Und das, was hierzulande hergestellt wird, landet nicht unbedingt auf dem heimischen Markt. „Die pharmazeutische Industrie produziert wie viele andere Brachen auch für den Weltmarkt“, sagt LAV-Sprecher Frank Eickmann. „Sie liefert dorthin, wo sie die besten Preise erzielen kann.“ Aus Herstellersicht seien ihre Produkte in Deutschland unterbezahlt, wenn man beispielsweise in den USA den dreifachen Preis erzielen könnte.

Diese Situation habe sich über lange Zeit aufgebaut. „Ihre Lösung liegt ausschließlich im politischen Bereich“, sagt Frank Eickmann. „Das bekommt man aber nicht mit einem Fingerschnipp aus der Welt“, so Eickmann. Es werde wohl Jahrzehnte dauern, um die Grundstoffproduktion nach Europa zurückzuholen.

Wie gut sind andere E-Länder mit Medikamenten versorgt?

Lieferengpässe
 bei Arzneimitteln sind ein EU-weites Problem, allerdings mit unterschiedlicher Ausprägung. So listet das österreichische Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen derzeit sogar 598 „Arzneispezialitäten“ mit Vertriebseinschränkungen. Die irische Health Products Regulatory Authority führt aktuell rund 300 Medikamente auf, die dänische Arzneimittelagentur Laegemiddelstyrelsen 431 Medikamente mit Lieferengpässen. In Frankreich gibt es nach Angaben der Nationalen Agentur für die Sicherheit von Medikamenten und Gesundheitsprodukten (ANSM) momentan bei 211 „Arzneimitteln von großer therapeutischer Bedeutung“ Lieferschwierigkeiten oder oder keine Lagerbestände.

 
 
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