Landkreis Ludwigsburg Gehörlose stoßen bei Inklusion an Grenzen

Von Bigna Fink
Ruslan Sopilniak (Mitte) zeigt Peter Schöneich (links) und Daniel Edel von den BSF Bietigheim in den Kellerräumen der TSV Gaststätte die Gebärde für „Ukraine“. Foto: /Martin Kalb

Taube Menschen unterstützen sich gegenseitig. Doch es fehlt überall an Gebärdensprachdolmetschern – auch im Landkreis Ludwigsburg. Gehörlosengeld gibt es vielerorts nicht.

Mit den Daumen- und Zeigefingern so tun, als würde man Teig drehen – so in etwa geht die Gebärde für „Spätzle“, zeigt Peter Schöneich an einem Abend in der TSV-Gaststätte Bietigheim. Der 56-jährige Schreiner ist Vorsitzender und Mitbegründer der Behinderten Sportfreunde Bietigheim 2015 (BSF Bietigheim), die bei deutschen und Landes-Meisterschaften im Gehörlosendart regelmäßig Gold holen. Die BZ hat die Vereinsmitglieder besucht, um mehr über die Situation der Gehörlosen im Landkreis zu erfahren.

Dabei wurde deutlich: Der große Mangel an Gebärdensprachdolmetschern in ganz Deutschland ist eines der Themen, die Taube in der Region bewegt – und das seit Langem.

Kaum Gebärdensprachkurse

Peter Schöneich ist seit Geburt an gehörlos, mit einem Hörgerät und dem Mundablesen kann er aber mit Hörenden reden. „Die deutliche Mundgestik des Gegenübers ist für uns in der Kommunikation mit Hörenden elementar“, betont er. Sein Wunsch ist, dass mehr hörende Menschen wenigstens ein paar Gebärden kennen.

Seit 2002 ist die Gebärdensprache als vollwertige Sprache in Deutschland anerkannt, man kann sie an Universitäten studieren. Für Menschen, die privat einen Einblick in die besondere Sprache erhalten wollen, gibt es im Landkreis Ludwigsburg momentan nur ein einziges Angebot: Ab 6. Oktober startet ein Gebärdensprachkurs für Anfänger an der Volkshochschule in Vaihingen. Erst recht fehlen Fachleute für Übersetzungen. Vor allem auch hier in der Region scheint es an Dolmetschern der deutschen Laut- in die dreidimensionale Zeichensprache zu fehlen. Über den Berufsfachverband sind im Kreis Ludwigsburg nur vier Gebärdensprachdolmetscherinnen gelistet.

Zwar würden weniger Gehörlose die Gebärdensprache lernen, weil mehr tauben Kindern das bei Gehörlosen umstrittene Hörsystem Cochlea-Implantat (CI) eingesetzt werde, beobachtet die Gebärdensprachdolmetscherin Sonja Lewandowsky. „Doch auch mit weniger Gebärdensprachlern steigt mit dem Ziel der Inklusion und den höheren Bildungschancen der Gehörlosen der Bedarf an Dolmetschern“, sagt die Affalterbacherin.

„In puncto Gebärdenkenntnisse mangelt es an menschlichen Ressourcen“, bestätigt Claudia Lychacz. „Es fehlt an Dolmetschern und an Sozialarbeitern mit gebärdensprachlichen Grundkenntnissen“, so die blinde Behindertenbeauftragte für den Kreis Ludwigsburg. Das hindere enorm die Kommunikation mit den Hörenden, das gegenseitige Verständnis und somit die Inklusion.

Kein Gehörlosengeld

Was Gehörlose wie Peter Schöneich ärgert: Anders als in anderen Bundesländern wie Sachsen, wo Gehörlose 150 Euro monatlich für Dolmetschereinsätze erhalten, gibt es in Baden-Württemberg weiterhin kein Gehörlosengeld. Krankenkassen und das Land sind zwar in einigen Fällen (Ämter, Gesundheit, Bildung, Arbeit) bereit, Kosten für Dolmetschereinsätze zu übernehmen. Allerdings gibt es dafür keine gesetzliche Regelung. So werden etwa seit 2021 keine Kosten für Dolmetscher-Einsätze für gehörlose Eltern in Kitas erstattet, teilt der Landesverband der Gehörlosen mit.

Von Claudia Krüger, Pressesprecherin des Landessozialministeriums, heißt es: Gesetzlich sei „sichergestellt, dass Menschen mit Behinderungen die Leistungen erhalten, die sie für eine selbstbestimmte Teilhabe benötigen. Damit können auch Gebärdensprachdolmetscher finanziert werden.“ Peter Schöneich aber sagt: „Wir verstehen das nicht, dass ein reiches Land wie Baden-Württemberg uns kein Gehörlosengeld zahlt. Das ist völlig unfair.“ Mit 85 Euro pro Stunde und mehr müssen Gehörlose für die Arbeit von Gebärdensprachdolmetschern rechnen, dazu kommt Fahrtgeld.

Zusammenhalt ist groß

Donnerstagabends treffen sich einige der 35 Mitglieder der Behindertensportler zum Darttraining im Keller der Bietigheimer TSV-Gaststätte. 21 Gehörlose und 14 Hörende. Sie kommen aus Bietigheim-Bissingen und Umkreis, auch aus Griechenland, der Türkei, Eritrea. Zwei Geflüchtete aus der Ukraine sind auch dabei. „Hier klappt die Inklusion und die Integration“, sagt Schöneich und fügt hinzu: „Das Wir-Gefühl ist am wichtigsten und wir helfen uns gegenseitig.“

Ruslan Sopilniak und seine Freundin sind im März aus der Ukraine geflohen und fühlen sich dank der Hilfe der Behinderten Sportfreunde Bietigheim hier sehr wohl. „Dass wir so viel Unterstützung erhalten, haben wir nicht erwartet“, gebärdet der 43-Jährige Sopilniak an seinen ukrainischen Freund Kirilo Iola, der seit neun Jahren in Bietigheim wohnt. Iola übersetzt die Gebärden wiederum an Peter Schöneich. Seit August ist der Geflüchtete Sopilniak bei einer Großmetzgerei in Freiberg angestellt. Generell sei die Arbeitssituation für Gehörlose derzeit kein größeres Problem, erzählt Schöneich.

Untereinander können sich Taube – genauso wie Hörende untereinander – nicht immer gleich verstehen. Die Gebärdensprache ist welt- und auch bundesweit nicht einheitlich.  „So bestehen zwischen der nord- und der süddeutschen Gebärdensprache erhebliche Unterschiede“, sagt Schöneich und lacht, „die Bewegungen sind ganz anders.“

 
 
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