Lebensmittelrettung im Kreis Ludwigsburg Haltbarkeitsdatum als Stellschraube

Von Heidi Vogelhuber
Am Runden Tisch zum Thema Lebensmittelrettung im Verlagshaus der BZ nahmen teil (von links): Sven Sieber, Geschäftsführer von fünf Edeka-Filialen im Kreis Ludwigsburg (Hoffmann&Sieber), Johannes Schockenhoff, Vorsitzender der Tafel Bietigheim-Bissingen, und Pfarrerin Petra Frey von der lokalen Initiative „Zu gut für die Tonne“, die in Bietigheim-Bissingen, Ingersheim und der Umgebung aktiv ist.  Foto: /Oliver Bürkle

Drei Lebensmittel-Experten aus dem Kreis Ludwigsburg und aus verschiedenen Bereichen reden mit der BZ über das Legalisieren vom Containern, dem Sinn und Unsinn des MHDs sowie schwierige Gesetzeslagen.

Drei Experten aus dem Lebensmittelbereich mit unterschiedlichen Hintergründen sprechen im Rahmen eines von der BZ organisierten Runden Tisches über Lebensmittelrettung, das Containern und warum der Staat den Menschen mehr Eigenverantwortung zutrauen sollte.

Die Teilnehmer am Runden Tisch

Sven Sieber vom Familienunternehmen Hoffman&Sieber, das fünf Edeka-Filialen in Bönnigheim, Sachsenheim, Markgröningen, Löchgau und Aspach betreibt, arbeitet mit den Tafeln in Bietigheim-Bissingen und Ludwigsburg sowie der Initiative „Foodsharing“ zusammen. Johannes Schockenhoff ist der Vorsitzende der Tafel Bietigheim-Bissingen, die Waren aus Geschäften abholt und vergünstigt an Menschen mit geringem Einkommen abgibt. Petra Frey ist Pfarrerin in Kleiningersheim und Initiatorin der lokalen Initiative „Zu gut für die Tonne“, die vor allem in Bietigheim-Bissingen und Ingersheim sowie dem näheren Umfeld aktiv ist. Lebensmittel, die nach der Tafel noch übrig sind, werden von Freiwilligen abgeholt, zum Teil auch aus der Tonne genommen.

Containern legalisieren?

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und Justizminister Marco Buschmann wollen das Containern straffrei stellen, sofern dabei nicht gewaltsam vorgegangen wird. Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges wiederum hält den Vorschlag für „Augenwischerei“, er könne nicht die „Antwort auf die großen Fragen der Lebensmittelverschwendung sein“. Auch die Experten aus dem Kreis sehen eine Legalisierung eher kritisch.

Das Thema Haftung spielt dabei für Sieber eine große Rolle. „Es könnten nicht mehr genießbare Lebensmittel aus einem Warenrückruf in der Tonne sein“, gibt der Supermarkt-Betreiber zu bedenken. „Der Gesetzgeber müsste in Vorleistung gehen und den Einzelhändler entlasten, seine Haftung aufheben“, sagt Schockenhoff. Frey sieht es ambivalent: „Es wäre gut, wenn Containern entkriminalisiert wird. Nicht das Herausnehmen von Essbarem aus der Tonne, sondern das Hereinschmeißen ist der eigentliche Skandal.“ Containern an sich sei jedoch unnötig, wenn man die Waren direkt abholen könne, niemand wühle gerne in einer Tonne. Die ganze Logistik sei zudem unnötiger Aufwand. „Die Legalisierung lenkt davon ab, dass das Problem woanders liegt.“ Frey wünscht sich, dass es ein Regal hinter dem Kassenbereich gibt, an dem sich jeder bedienen kann.

MHD und Nachhaltigkeit

„Das Containern muss man aber auch nicht zu hoch aufbauschen, es ist ein Nebenschauplatz“, sagt der Vorsitzende der Bietigheimer Tafel im Bezug auf die Lebensmittelverschwendung (siehe Grafik). Nur über das Bewusstmachen beim Endverbraucher könne der Lebensmittelverschwendung nachhaltig entgegengewirkt werden. Dabei steht, so sind sich die drei Experten einig, vor allem das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) im Fokus.

„Der Name ‚Mindesthaltbarkeit’ sagt ja schon, dass es mindestens bis dahin haltbar und kein Ablaufdatum ist“, sagt Schockenhoff. Aus dem täglichen Geschäft weiß Sieber jedoch, dass Lebensmittel, die dem MHD auch nur nahe kommen, schlechter verkauft werden. Frey würde sich eine Vergünstigung – wie vielerorts bereits praktiziert – dieser Lebensmittel wünschen. „Dann würden manche sicherlich lieber zugreifen.“ Ob damit jedoch die Lebensmittelverschwendung reduziert werde, bezweifelt Schockenhoff. „Man verschiebt das Wegwerfen nur“, stimmt Sieber zu. „Das MHD sehe ich als Hauptstellschraube. Die Leute sind gewohnt zu sagen, ‚es ist abgelaufen’. Die Terminologie zeigt schon, dass es weggeschmissen werden kann, weil es wertlos ist. Da müsste eine Bewusstseinsänderung stattfinden, eine Umerziehung“, so Frey.

Auch Schockenhoff lehnt diese Art der Überreglementierung ab. „Die Information des MHDs ist schon gut für den Verbraucher, aber die Interpretation des Verbrauchers ist schlecht“, führt er aus. Eine Info zur Karenzzeit der Genießbarkeit würde Sieber statt dem MHD gutheißen. Das MHD sei wie eine Garantie, vergleicht Frey. „Keiner würde nach zwei Jahren eine Uhr wegwerfen, weil die Garantie abgelaufen ist und die Uhr stehen bleiben könnte.“

Sinnvoll bei Läden anzusetzen?

Die meisten Lebensmittel werden zwar in Privathaushalten weggeworfen, und doch sehen Sieber, Schockenhoff und Frey es als sinnvoll an, in den Geschäften anzusetzen. „Alles, was weggeschmissen wird, wurde einmal in einem Geschäft gekauft, und die Geschäfte sind einfacher anzusprechen. Überall, auf allen Ebenen der Verbrauchskette, muss angesetzt werden“, fasst Schockenhoff zusammen.

Gerade von den Backwaren bleibe oft viel übrig, berichtet Sven Sieber aus eigener Erfahrung. Zum Wegschmeißen zu schade, aber wohin damit? „Wir haben die Tafeln, mit denen wir schon lange zusammenarbeiten und die zwei Mal wöchentlich kommen, angesprochen. Sie sagten jedoch, es sei nicht möglich, das alles abzuholen.“ Schockenhoff erklärt, dass beispielsweise die Tafel Bietigheim-Bissingen genügend Ware habe, da eine gute Zusammenarbeit mit vielen Geschäften bestehe. Und doch gibt es einen Kundenstopp. Das habe jedoch nichts mit der Warenmenge zu tun, sondern liege an der begrenzten räumlichen Kapazität und an der Mitarbeiteranzahl. „Für unsere 160 bis 180 Kunden haben wir genug Ware, aber seit dem Ukrainekrieg sind es fast 250 – da bräuchten wir vielleicht mehr Ware, wir können aber nicht so viele Kunden betreuen.“

An dieser Stelle kommen andere Initiativen zum Zug. „Wir haben ‚Foodsharing’ angesprochen, die dann ein Netzwerk aufgebaut haben und sechs Mal die Woche Waren abholen – bis auf den Standort Sachsenheim, dort sind wir noch im Findungsprozess“, erklärt Sieber. Initiativen wie „Foodsharing“ holen auch abends von der Tafel noch Waren ab.

Initiativen greifen ineinander

Das reduziere den Abfall – ein weiterer Aspekt, um der Lebensmittelverschwendung entgegen zu wirken, entlaste gleichzeitig auch die Geschäfte. Der Vorteil von kleinen Initiativen sei die Flexibilität – bezogen auf Abholung, aber auch Menge und Ware. Daher gebe es keine Konkurrenz zwischen Tafeln und „Foodsharern“, ganz im Gegenteil. „Es ergänzt sich“, so Schockenhoff. „Die Tafel hat immer Vorrang, da die Bedürftigen Vorrang haben“, erklärt Frey. Was dann noch übrig sei, könne verteilt werden – an Interessierte, denen das Wegwerfen der Lebensmittel zu schade sei.

Übrigens

Am Ende des Gesprächs im Verlagshaus der Bietigheimer, Sachsenheimer und Bönnigheimer Zeitung haben Sven Sieber und Petra Frey Kontaktdaten ausgetauscht. Die Initiative „Zu gut für die Tonne“ möchte künftig Waren aus dem Edeka in Sachsenheim abholen, die von der Tafel nicht abgeholt werden können.

Tipps für den Endverbraucher

Petra Frey: „Erst einmal Probieren. Wenn das Lebensmittel noch gut aussieht, gut riecht und gut schmeckt, einfach genießen.“

Johannes Schockenhoff: „Gar nicht erst etwas kaufen, das man später wegschmeißen muss. Sich beim Einkaufen schon Gedanken darüber machen und den Bedarf im Blick behalten. Dadurch wird insgesamt weniger weggeschmissen.“

Sven Sieber: „Den Einkauf richtig in den Kühlschrank einräumen. Die frisch gekaufte Ware am besten nach hinten räumen und die neue Ware nach vorne, um diese Lebensmittel zuerst zu essen. Und einmal die Woche gibt es ein Restekochen: Lebensmittel verkochen, bevor man sie wegschmeißen muss.“  

 
 
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