Eine Kochschürze, die Haare fein nach hinten gebunden und den Kochlöffel in der Hand – so stellt man sich die Frau am Herd vor. Jeden Tag zuhause wartend auf den Herren des Hauses, bereitet sie das Essen zu und umsorgt die Kinder. Der Haushalt muss auch geschmissen und die Wäsche gewaschen werden: Das klischeebeladene Rollenbild einer Frau, dem wir bereits vor Jahrzehnten entkommen sind – oder etwa doch nicht? „Viele würden uns Frauen wieder zurück an den Herd schicken“, sagt die Löchgauerin Gertraude Hollstein. Gemeinsam mit ihrem Frauenverband Courage kämpft sie bereits jahrzehntelang für die Rechte der Frauen.
Löchgau Frauen bald zurück am Herd?
Gertraude Hollstein ist seit 30 Jahren beim Frauenverband Courage in Ludwigsburg und kämpft für die Rechte der Frauen. Warum das immer schwieriger wird, erzählt sie im Gespräch mit der BZ.
Dabei geht es ihr nicht darum, einen Geschlechterkampf zwischen Frauen und Männern auszulösen, sondern Tabuthemen ins Licht zu rücken, die totgeschwiegen werden. Für Hollstein ist klar: „In Sachen Gleichberechtigung muss noch viel getan werden, obwohl schon viel getan wurde“, erzählt sie im Gespräch mit der BZ. Doch was genau meint die Frauenrechtlerin damit?
Frauen und Gleichberechtigung
Vor 30 Jahren ist die heute 73-Jährige zu Courage gekommen, der bundesweite Frauenverband selbst wurde vor 33 Jahren gegründet und hat heute seinen Sitz in Wuppertal. Wie sie dazu kam? In Löchgau aufgewachsen, zog es sie nach ihrem Schulabschluss nach Tübingen, um Sozialpädagogik zu studieren. In dieser Zeit entwickelte sie Interesse am Thema Frauen und Gleichberechtigung der Geschlechter, auch durch Gespräche mit ihren Kommilitonen. Nach ihrer Ausbildung jedoch, nach der sie einige Jahre noch als Sozialpädagogin arbeitete, gab sie ihren Job auf. Der Grund: Nachwuchs. „Kinder und Arbeit ließen sich damals schwer vereinen“, erinnert sich Hollstein. Erst danach begann ihre Zeit als Frauenrechtlerin. Mit der Zeit engagierte sie sich in verschiedenen Gruppen, unter anderem bei Courage Heilbronn. Von den Ludwigsburger Frauen wurde sie daraufhin angesprochen und kam auf diesem Weg in Kontakt mit der Gruppe, auch weil sie unter anderem nach einer Fortbildung später als Musiklehrerin arbeitete. „Sie wollten auch gerne Musik machen“, erzählt Hollstein.
So kam die Löchgauerin zu Courage Ludwigsburg. Jahrelang gab es nach ihrem Beitritt deswegen auch eine Liedergruppe, in der die Frauen gemeinsam sangen und musizierten. „Inhaltlich waren das natürlich nur Frauenlieder“, ergänzt sie und lacht. Heute ist Hollstein sogar im Vorstand der Ludwigsburger Gruppe.
Doch warum hat sie sich überhaupt engagiert? „Es gab Anfang der 90er-Jahre keine große Frauenbewegung in dem Sinn mehr, aber mit den Jahren hat sich für mich herauskristallisiert, dass wir Frauen etwas tun müssen, wenn wir etwas verändern wollen“, erklärt Hollstein. Der Frauenverband wiederum bot ihr eine Chance, aktiv zu werden. Dort konnte sie sich mit anderen Frauen über diverse Themen austauschen. Das sei auch das Besondere an diesem Verband – nämlich dass er thematisch so breit gefächert ist. „Wir beschäftigen uns nicht nur mit einem, sondern vielen Themen“, meint sie. Unter anderem Frauen auf der Flucht, Gewalt an Frauen, sexualisierte Gewalt, Abtreibung oder Gehälter und Löhne. Dabei geht es den 17 Frauen nicht nur um den internen Austausch auf regelmäßigen Verbandstreffen, sondern darum, ihre Forderungen nach außen zu tragen und etwas zu bewegen.
Grund genug, um auf die Straßen im Kreis Ludwigsburg zu gehen und Lärm zu machen, findet Hollstein. Jedoch im friedlichen Sinne: „Wir sind keine militanten Kämpferinnen, sondern Frauen, die aufklären wollen. Und das geht am besten im Gespräch.“ Zum Beispiel auf Demonstrationen und anderen Aktionen auf den Straßen. Beispielsweise sind die Frauen am Weltfrauentag vor zwei Wochen durch Ludwigsburg gezogen mit Plakaten, Schildern, Parolen sowie Gesang und Instrumenten – denn Hollstein hat auf solchen Aktionen stets ihre Trommel dabei.
Kein Projekt, sondern ein Prozess
Wie andere Menschen darauf reagieren? Sehr positiv, meint die Löchgauer Frauenrechtlerin. „Ich werde immer wieder angesprochen.“ Besonders freue es sie aber, dass auch Menschen mit anderen Positionen auf sie zukommen. „Manchmal kann man ja doch jemanden zum Umdenken anregen“, hofft sie.
Eine Schattenseite gibt es jedoch: Die Ludwigsburger Verband altert, an aktivem Nachwuchs fehlt es. Junge Frauen kämen zwar hin und wieder zu den Treffen, der verbindliche Eintritt sei dennoch die Ausnahme. Woran das liegt? „Uns Frauen geht es heute besser, ja. Das Patriarchat ist nicht mehr so stark. Deswegen ist der Blick der jungen Frauen vielleicht weniger geschärft, weil sie in einer besseren Zeit aufgewachsen sind“, so Hollstein, „die Realität ist aber auch die, dass die Situation jederzeit kippen kann. Und gemeinsam sind wir stärker“. Die angespannte politische Lage und das Frauenbild rechtsextremer Politiker und Gruppen könnte Frauen wieder zurück an den Herd befördern, befürchtet die Rentnerin. Auch das Recht auf Abtreibung sieht sie gefährdet.
Die „Befreiung der Frau“ sei nämlich kein abgeschlossenes Projekt, sondern vielmehr ein Prozess. Dafür geht Gertraude Hollstein bis heute auf die Straße und ruft: „Viele Kinder oder keine, das entscheiden wir alleine.“