Sachsenheim Orient-Express vor 130 Jahren entgleist

Von Martin Hein
Mit einem Ruck kippte am 27. Februar 1893 bei Großsachsenheim die Lokomotive des Orient-Express-Zuges um. Der Lokführer wurde unbedeutend verletzt, hieß es damals. Foto: /BZ-Archiv

Der sagenumwobene Luxus-Zug „Orient-Express“ sprang vor 130 Jahren bei Großsachsenheim aus den Schienen. Auch 1928 machte das rollende Grand-Hotel unfreiwillig Halt in Sachsenheim. 

Es gibt kaum einen Zug, um den sich so viele Mythen und Geschichten ranken, wie um den legendären Orient-Express. Agatha Christie, die selbst begeisterte Orient-Express-Reisende war, setzte diesem luxuriösen Eisenbahn-Zug mit ihrem 1934 erschienen Roman „Mord im Orient-Express“ ein literarisches Denkmal. Erstmals fuhr dieser Luxus-Zug am 5. Juni 1883 von Paris nach Konstantinopel. Viele Jahrzehnte fuhr das rollende Grandhotel auf dieser Strecke durch Sachsenheim und schrieb hier, wenn auch unfreiwillig, Eisenbahngeschichte.

Zug der Superlative

Der Orient-Express, bestand um 1893 aus Lokomotive mit Tender, Gepäckwagen, zwei Luxus-Schlafwaggons, einem Wagen mit Duschkabinen, einem perfekt ausgestatteten Restaurantwagen samt Rauchsalon und Damen-Boudoir – quasi ein Ankleidezimmer.

Der Luxus-Zug legte vom Pariser Bahnhof Gare de l’Est die rund 3168 Kilometer lange Strecke nach Konstantinopel mit mehreren Zwischenstopps, einen davon in Stuttgart, in gewöhnlich knapp 68 Stunden zurück. Nicht so am 27. Februar 1893. Zunächst durchfuhr an diesem Tag der Luxuszug von Paris kommend, noch den Großsachsenheimer Bahnhof, alles weitere wurde in einem Zeitungsbericht seinerzeit so geschildert: „Zwischen 7 und 7.15 Uhr entgleiste nahe bei Posten 35 auf der Linie Mühlacker – Bietigheim der Orientexpresszug, welcher eine Verspätung von circa 8 Minuten einzuholen hatte. Dem Zugführer, dem das Kollern der Wagen auffiel, schwebten noch die Worte auf den Lippen: „Wir sind…“ und mit einem Ruck kippte die Lokomotive um, den Zugführer auf das nahe Hag, den Heizer ins Feld hinauswerfend. Ein Glück muss es genannt werden, dass das Unglück auf freiem Felde geschah; etwa zwei Ackerlängen entfernt, befindet sich ein hoher Damm. Die Wagen erlitten keinen zu großen Schaden, auch die Reisenden kamen mit dem Schrecken davon. Übermorgen hofft man, die Strecke frei zu haben.“

Ein Augenzeuge berichtete, dass der Zug bei voller Fahrt aus dem Gleis geriet und die Maschine sich mit weithin vernehmbaren Getöse tief in die Erde bohrte. Wegen des Unglücks mussten einer ersten Telegramm-Meldung zufolge, beide Gleise der Strecke Mühlacker - Bietigheim gesperrt werden. „Von den im Zug befindlichen Reisenden ist niemand, vom Zugpersonal nur der Lokomotivführer, und zwar unbedeutend, verletzt“, hieß es weiter. Der Präsident der Württembergischen Eisenbahngesellschaft, Friedrich von Balz, eilte sofort an den Unfallort. Die Reisenden konnten anderthalb Stunden später mit einem Hilfszug ihre Reise fortsetzen. Von diesem Zugunglück sind immerhin zwei Fotografien erhalten. Eins dieser Fotos hing viele Jahre im Gasthaus Hirsch. Zu dieser Zeit wurde der Orient-Express in Süddeutschland von der so genannten „Württembergischen E“ – Lokomotive gezogen. Diese Schnellzug-Lokomotiven hatten ein konstruktives Problem in Form einer Überlastung im Bereich der Schleppachse. Deshalb wurde die Höchstgeschwindigkeit der „Württembergischen E“ von ursprünglich 80 Stundenkilometern sicherheitshalber auf 75 Stundenkilometern herabgesetzt. Womöglich war diese Schwachstelle die Unglücksursache, als der Lokführer an besagtem 27. Februar 1893 eventuell schneller fuhr, um die achtminütige Verspätung einzuholen. Die „Württembergische E“ - Lokomotiven versahen bis 1921 ihren Dienst.

Speisewagen abgestellt

Der Orient-Express machte knapp 35 Jahre später, wieder außerplanmäßig Halt in Großsachsenheim. Der Enz- und Metter-Bote berichtete am 18. Juni 1928 über dieses Ereignis: „Einen unfreiwilligen, über eine Stunde dauernden Aufenthalt musste gestern der Orient-Expresszug Paris – Wien - Bukarest (L 63) auf hiesiger Station nehmen. An einem Speisewagen löste sich nach dem Bremsen der Bremsschuh nicht mehr vom Rade, wodurch letzteres ins Schmelzen kam. Durch rechtzeitiges Beobachten dieses Defektes, wurde größeres Unheil vermieden. Der Speisewagen musste aus dem Zug ausgeschieden werden. Diese Störung verursachte unter den Reisenden, meist Franzosen, große Erregung.“

Weitere Orient-Express-Pannen

Abgesehen von diesen beiden Zwischenfällen, hat der seinerzeit zweimal wöchentlich verkehrende Orientexpress weitere Spuren im Kreis Ludwigsburg hinterlassen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Der Luxuszug ist am 8. Januar 1891 auf dem Ludwigsburger Bahnhof wegen einer kaputten Weiche entgleist. Ein von Beihingen einfahrender Zug fuhr auf einen Schlafwagen des Orient-Express auf. Personen kamen nicht zu Schaden.

Am 13. Januar 1894 ist der Orient-Express wegen eines falsch gestellten Signals, in dichtem Nebel auf einen Güterzug, der eigentlich überholt werden sollte, aufgefahren.

Am 11. Oktober 1901 stieß der Orient-Express im Kornwestheimer Bahnhof auf eine in das Hauptgleis hineinragende Lokomotive. Beide Lokomotiven wurden beschädigt.

 
 
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