Sachsenheim Streit um Betriebsratswahl

Von John Patrick Mikisch
Beim Getränkelogistiker Winkels hängt der Haussegen im Betriebsrat schief. Foto: Martin Kalb

Bei der Betriebsratswahl 2022 bei Winkels Getränke Logistik kam es zu Unregelmäßigkeiten, die die Gerichte beschäftigen.

Dass Betriebsräte und Firmenführung mal über Kreuz liegen, kommt gelegentlich vor. Dass es zwischen Betriebsratsmitgliedern kracht, vermutlich auch. Dass der Streit dann in zwei Instanzen vor Gericht geht, dürfte hingegen eher selten sein. Bei der Winkels Getränke Logistik ist genau das gerade passiert. Es ist eine Geschichte, die sich streckenweisen wie eine Posse anhört und tief ins Dickicht des deutschen Betriebsratwesens führt.

Alles fängt ganz harmlos an – mit einer Betriebsratswahl

Alles beginnt am 30. März 2022. Damals stehen Wahlen für den neunköpfigen Betriebsrat an. Rund 250 Winkels-Beschäftigte am Logistikstandort im Gewerbepark Eichwald und der Ulmer Zweigstelle dürfen wählen. Ein ganz normaler, etwas bürokratischer Vorgang, der sich in vielen Betrieben landauf, landab alle vier Jahre wiederholt.

Bis kurz vor Wahlbeginn liegt nur eine gültige Wahlliste vor. In einem solchen Fall schreibt das Betriebsratgesetz vor, dass die Wahlvorschläge wie bei der Personenwahl gehandhabt werden. Das bedeutet: Jeder Wähler kann so viele Stimmen abgeben, wie Personen auf dem Wahlzettel stehen. Die mit den meisten Stimmen kommen in den Betriebsrat.

Soweit so klar. Dann passieren mehrere Dinge, die den gewohnten Ablauf durcheinander bringen. Zuerst reicht kurz vor Ablauf der Frist eine Person eine eigene Liste ein. Damit entfällt laut Betriebsratsgesetz automatisch die individuelle Wahl: Es kann nur noch für eine der beiden Listen abgestimmt werden. In den Betriebsrat kommen von der ursprünglich einzigen Liste dann nur noch diejenigen, die oben stehen.

Formal ist das rechtlich erlaubt. „Als Wahlvorstand kannst du da gar nichts machen“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Holger Aust gegenüber der BZ. „Letztlich verfälscht dieser Vorgang aber den Wählerwillen“, kritisiert Winkels-Mitarbeiter Peter Müller. In Wirklichkeit heißt er anders, möchte aber lieber anonym bleiben.

Wer setzte einen Kandidaten ohne dessen Wissen auf die Liste?

Müller erhebt schwere Vorwürfe: Unter anderem sei auf der ersten Wahlliste eine Person geführt worden, die gar nicht kandidieren wollte und sich dort auch nicht selbst eingetragen habe. Ihre Unterschrift sei gefälscht worden. Das Gericht merkt dies später ebenfalls an.

Der Wahlvorstand reagiert darauf und korrigiert die Wahlliste. Doch die Briefwähler haben bereits die Wahlunterlagen mit der falschen Liste erhalten. Daraufhin verschickt der Wahlvorstand neue Wahlunterlagen, diesmal mit der korrigierten Wahlliste. Diese hat allerdings eine andere Farbe als die falsche Liste. Das ist später vor Gericht noch relevant.

Auch bei der Stimmauszählung soll es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sein. „Die Briefwahlstimmen waren geöffnet in der Urne und es gab markierte Stimmzettel“, sagt Müller.

Seine Überzeugung: „So wurden Stimmen für den Kandidaten auf der zweiten Listen gesammelt.“ Am Ende kommt dieser tatsächlich mit 19 Stimmen in den Betriebsrat. „Die hätte er bei einer Personenwahl nie bekommen“, behauptet Müller.

Zwei Gerichte erklären die Wahl des Betriebsrat für ungültig

Müller und einige Kollegen fechten die Wahl beim Landesarbeitsgericht (LAG) an. Vor der 12. Kammer des LAG in Ludwigsburg verteidigt der damals gewählte Betriebsrat die Wahl: Insgesamt habe es sieben Briefwahlumschläge gegeben. Sie seien geöffnet worden, um die Wahlzettel mit der falschen Liste auszusortieren. Das sei bei drei Wahlzetteln der Fall gewesen, sie seien markiert worden, um sie bei der Auszählung besser unterscheiden zu können. Sie seien zusammen mit den korrekten Wahlzetteln in die Urne gelegt worden. Dies sei unter Zeugen fünf Minuten vor der öffentlichen Auszählung geschehen.

Für die Ludwigsburger Richter ein klarer Verstoß gegen die Wahlordnung. Die unterschiedliche Beschaffenheit der Stimmzettel für die Briefwahl könne Rückschlüsse auf den Wähler zulassen. Die als falsch markierten Stimmzettel hätten das Wahlergebnis zudem beeinflussen können. Dasselbe gelte für die Öffnung der Briefwahlunterlagen vor Beginn der öffentlichen Auszählung. Das Gericht erklärt die Wahl damit am 28. Februar für ungültig.

Eigentlich könnte der Betriebsrat jetzt neu gewählt werden. Doch der legt beim Landesarbeitsgericht in Stuttgart Beschwerde ein. Das meldet schonmehrere Wochen vor der eigentlichen Verhandlung schriftlich Zweifel an den Ausführungen des Betriebsrats an und verweist ausdrücklich auf die Manipulationsmöglichkeiten durch das vorzeitige Öffnen der Briefwahlunterlagen. Das Gerichtsschreiben schließt: „Vor diesem Hintergrund wird angefragt, ob an der Beschwerde festgehalten werden soll.“

Diesen Mittwoch treffen sich die beteiligten Parteien vor Gericht. Das bestätigt letztendlich das Urteil der Ludwigsburger Kammer. Mehr noch: Es lässt auch eine weitere Rechtsbeschwerde dagegen nicht zu. Es bliebe nur noch der Weg einer Nichtzulassungsbeschwerde. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Verfahren überhaupt angenommen wird, liegt nach Angaben eines LAG-Sprechers bei zehn Prozent.

Deutlicher kann ein Urteil kaum sein. „Unser Hauptfehler war, dass wir die Briefwahlumschläge fünf Minuten vor der öffentlichen Auszählung geöffnet haben“, sagt Holger Aust. Zu den übrigen Punkten wolle das Gremium zunächst die schriftliche Begründung des Urteils abwarten.

Die Gewerkschaft hält den Ball lieber flach

Auch die für Winkels zuständige Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bemüht sich, den Ball flach zu halten. Während des Verfahrens hatte sich die NGG aufs Beobachten beschränkt – zur Enttäuschung der Beschwerdeführer um Peter Müller.

Nach dem letzten Urteil wird die Haltung der Gewerkschaft eindeutiger. „Wenn die Wahl nichts rechtens war, muss neu gewählt werden“, sagt Hakan Ulucay, stellvertretender Landesbezirksvorsitzender des NGG-Landesbezirks Südwest. Einerseits. Andererseits: „So eine Betriebsratswahl ist mit zahlreichen rechtlichen Stolperfallen gespickt“, sagt Hakan Ulucay.

Auch die Winkels-Geschäftsleitung schlägt versöhnliche Töne an: „Als Geschäftsführung bedauern wir, dass die Betriebsratswahl im Eichwald wegen eines Formfehlers für unwirksam erklärt werden muss. Wir glauben, dass trotz manchmal unterschiedlicher Positionen, die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit unseren Betriebsräten ein wichtiger Faktor für ein gutes Betriebsklima ist“, teilte die Firma auf BZ-Anfrage mit.

Allerdings betonte sie auch: „Wir sind überzeugt, dass es im Interesse aller Beschäftigten ist, wenn die Wahlen zügig wiederholt werden und der Zeitraum ohne Arbeitnehmervertretung möglichst kurz gehalten wird.“

Winkels muss wohl bis zur Wahl ohne Betriebsrat auskommen

Sollte der aktuelle Betriebsrat nicht den sehr unsicheren Weg einer Nichtzulassungsklage eingehen, wird das Stuttgarter Urteil voraussichtlich bis Jahresende rechtskräftig. Dann muss spätestens im Frühjahr eine Neuwahl des Betriebsrats erfolgen.

Die gute Nachricht: Auf bereits getroffene Regelungen wie etwa Betriebsvereinbarungen und Ähnliches würde sich die betriebsratslose Zeit bis zur nächsten Wahl laut Gewerkschaft nicht auswirken. Und die letzte Tarifrunde liegt gerade erst fünf Monate zurück.

Der alte Betriebsratsvorsitzende Holger Aust will erneut antreten. Es wäre „fatal, wenn ich jetzt Vogel Strauß spielen würde“, sagt Aust. Es brauche mehrere Jahre, um sich in die komplexe Betriebsratsthemen einzuarbeiten. Dazu gehören allerdings auch die Verfahren und Regeln für Betriebsratswahlen.

 
 
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