Interview mit dem Landrat Dietmar Allgaier: „Wir bleiben im Führerhaus“

Von Claudia Mocek
Mittelfristig wird die Luft im Kreishaushalt dünner, sagt Landrat Dietmar Allgaier. Foto: /Oliver Bürkle

2022 wurde das Müllsystem umgestellt – nicht ohne Probleme. Aufgrund des Ukraine-Kriegs sind auch viele Menschen in den Landkreis geflüchtet. Die Diskussionen um einen neuen Deponiestandort haben die Menschen beschäftigt. Im BZ-Interview zieht Landrat Dietmar Allgaier Biland am Ende des Jahres und gibt einen Ausblick auf das neue Jahr.

Umstellung des Müllsystems, Ukraine-Krieg und Energiekrise: Diese Themen haben 2022 den Landkreis beschäftigt. Ein Rückblick und ein Ausblick.

War die Verwaltung ausschließlich im Krisenmodus?

Landrat Dietmar Allgaier: Nein, die Verwaltung muss operativ durch laufen. Aber der Schockmoment war für uns die militärische Intervention von Putin in der Ukraine und deren Folgen. Obwohl wir auf den Umgang mit geflüchteten Menschen besser vorbereitet waren als 2015, war die hohe Zahl an Menschen, die herkamen, eine neue Herausforderung.

Was uns Sorge bereitet, ist, dass wir geflüchtete Menschen – unabhängig ob sie von Drittstaaten oder aus der Ukraine kommen – in den großen Unterkünften wie dem Schulzentrum in Bietigheim unterbringen müssen. Denn da ist eine Integrationsarbeit kaum noch möglich. Aber gerade haben wir keine Alternativen. Das ist unbefriedigend, zumal wir nicht wissen, wie es in der Ukraine weitergeht. Wir rechnen damit, dass noch mehr Menschen zu uns kommen werden.

Wie könnte ein Ausweg aussehen?

Hier ist die Bundesregierung gefordert, sie muss ein Asylsystem für Europa entwickeln. In Baden-Württemberg haben wir derzeit rund 250 000 Geflüchtete aus der Ukraine. Zum Vergleich: In ganz Frankreich sind es rund 100 000 Menschen. Hier braucht es auf europäischer Ebene einen Gleichklang. Das wird nicht in Kürze gelingen und das ist sehr frustrierend.

Wie sind Sie mit der Energiekrise umgegangen?

Wir haben einen Runden Tisch eingeführt. Und zwar einerseits mit den Netzbetreibern und Versorgern, andererseits mit den Fachleuten aus den Rathäusern. Wir haben Energiespar-Konzepte erarbeitet, um deren Akzeptanz zu erhöhen.

Unsere Schließtage wurden zwar belächelt, aber am 31. Oktober und 1. November haben wir als Verwaltung insgesamt 7200 Kilowattstunden Strom und 15 500 Kilowattstunden Wärme gespart. Hinzu kamen die Schließtage vom 23. bis 26. Dezember, bei denen wir 14 400 Kilowattstunden Strom und 70 000 Kilowattstunden Wärme gespart haben.

Mit den Versorgern haben wir vereinbart, dass Kunden, die Zahlungsschwierigkeiten haben, mit der Mahnung Informationen über Hilfsmöglichkeiten zugeschickt bekommen. Auf diesem Weg möchten wir verhindern, dass aufgrund des Automatismus bei den Versorgungsunternehmen bei Kunden Gas oder Strom abgestellt werden.

Was ist bei der Umstellung des Müll-Systems in 2022 schiefgelaufen?

Da ist einiges schiefgelaufen, was nicht hätte schieflaufen dürfen. Allerdings ist die AVL für vieles gescholten worden, für das sie gar nicht verantwortlich war. Sie hat das Krisenmanagement für andere betrieben, denn es war das Versagen der Dualen Systeme und der Firma Alba. Diese waren nicht in der Lage, sich auf ein neues Versorgungsgebiet einzustellen. Das war ärgerlich. Natürlich haben wir Schadensersatzforderungen geltend gemacht. Aber das hilft den Menschen erst einmal nicht, auch wenn das Geld indirekt mit den Gebühren verrechnet wird. Aber jetzt ist der Ärger vorbei und der Tausch der Glaskörbe lief, wo er gewünscht war, im Sommer problemlos.

Dann wurde kontrovers über mögliche Deponiestandorte diskutiert.

Abfall bestimmter Klassen, der in Schwieberdingen angeliefert wird, stammt fast zur Hälfte aus anderen Landkreisen. Aber wir liefern unseren Restmüll zum Beispiel nach Stuttgart ins Müll-Heizkraftwerk. Das ist grundsätzlich also ein soziales System.

Voraussichtlich Mitte der 2030er-Jahre wird der Graben in Schwieberdingen verfüllt sein. Wir haben Anfang des Jahres den Verband Region Stuttgart (VRS) darüber informiert, dass wir die Standortsuche bei uns weiterführen, dass wir aber auch davon ausgehen, dass das auch in anderen Landkreisen passiert.

Der VRS muss jetzt seine Aufgabe und seine Verantwortung wahrnehmen. Wir müssen den Blick auch über unsere Landkreis-Grenzen hinaus schärfen und schauen, wo es geeignete Flächen gibt. Der Landkreis Ludwigsburg wird bei diesem Thema zwar das Steuer an den VRS abgeben, aber wir bleiben im Führerhaus, weil wir über viele Erfahrungen verfügen.

Ein weiteres Sorgenkind sind die Kliniken.

Mir macht die Gesundheitspolitik in der BRD Sorgen, die sich auch auf die Kliniken in Ludwigsburg, Bietigheim und Markgröningen auswirkt. Wir sind in Deutschland im Bereich der Kliniken strukturell unterfinanziert. Das Land Baden-Württemberg kommt seiner gesetzlichen Verpflichtung nicht nach, zum Beispiel müsste es die Investitionen vollständig tragen, was es aber nicht tut. Wir brauchen eine grundlegende Reform unseres Gesundheitssystems.

Wir haben einen großen Mangel an Pflegekräften und können die Betten, die wir zur Verfügung haben, gar nicht belegen. Wir sind mit unseren Kliniken, was die strategische Weiterentwicklung angeht, auch dank Professor Jörg Martin, gut aufgestellt. Das Problem ist aber, dass der Landkreis durch die Unterfinanzierung inzwischen auch Gelder in den laufenden Betrieb hineingeben muss.

Gibt es beim Land kein Einsehen?

Ich kann so viel verraten, dass Sozialminister Manfred Lucha im ersten Quartal 2023 zu uns in die Klinik nach Ludwigsburg kommen wird. Ich denke, er kennt die Probleme, aber er unterliegt auch den Haushaltsplänen und Haushaltszwängen des Landes. Und trotzdem wollen wir ihm bei diesem Besuch vermitteln, wohin aus unserer Sicht die Reise in der medizinischen Ausrichtung in den kommenden Jahren gehen wird.

Wie sieht es mit der Service-Orientierung der Verwaltung aus?

Wir sind auf einem sehr guten Weg. Einige zentrale Bereiche haben wir schon komplett umgestellt. Wir bekommen viel Lob zum Beispiel in der Kfz-Zulassungsstelle. Was uns noch fehlt, ist, dass man analoge Schritte durch Online-Tools ersetzt. Das wird in den nächsten Jahren aber mehr und mehr kommen.

Und wie ist die Lage in den Beruflichen Schulen?

Von der Regierungspräsidentin haben wir kurz vor Weihnachten eine Förderung von rund drei Millionen Euro entgegengenommen. Das freut mich sehr. Auch unsere sonderpädagogischen Einrichtungen werden weiter gefördert, weil wir dort mehr Kapazitäten schaffen wollen. Was die IT-Infrastruktur angeht, sind wir auf einem guten Weg.

Was waren die wichtigsten Investitionen in diesem Jahr?

Für die Flüchtlingsunterbringung haben wir einen siebenstelligen Betrag aufgewendet, für den Öffentlichen Nahverkehr über 50 Millionen Euro, 2023 werden es über 60 Millionen Euro werden. Vor diesem Hintergrund sehe ich die Einführung eines 49 Euro-Tickets skeptisch, weil bisher nur die Finanzierung des ersten Jahres zugesichert wurde.

Außerdem haben wir einen achtstelligen Betrag insgesamt in unsere Schulen investiert.

Rund 90 Prozent des Kreishaushalts gehen in die sozialen Sicherungssysteme. Hier haben wir Mehraufwendungen durch die Wohngeld-Reform und das Bundesteilhabegesetz, weil wir zum Teil dort mehr Personal benötigen.

Wie steht der Kreis finanziell da?

Der Landkreis Ludwigsburg hatte in den vergangenen Jahren immer gute Rechnungsergebnisse und wir haben eine gute Rücklagensituation. Das werden wir auch für 2022 erreichen. Ich habe den Haushaltsplan 2023 allerdings mit einem negativen Ergebnis von rund 30 Millionen eingebracht. Wir werden uns in Zukunft darauf einstellen müssen, dass die Luft dünner wird und dass wir nicht mehr diese Flexibilität im Haushalt haben werden.

Wie sieht die mittelfristige Planung aus?

Trotz der 180 Millionen Euro, die wir bis 2026 in den Ausbau und die Erweiterung der Kliniken investieren wollen, sieht die Planung vor, dass wir bis Ende der 2020er Jahre eine Verschuldung von 50 bis 60 Millionen Euro haben und bei dieser Verschuldungslinie konstant bleiben.

Was die Kreisumlage angeht, gehe ich nicht davon aus, dass diese im Entwurf des Haushaltsplans 2024 bei 27,5 bleiben wird – weil die Lasten zum Beispiel bei der Gesundheitsversorgung, die alle Städte und Gemeinden des Kreises betrifft, größer werden.

Welche Themen stehen 2023 auf der Agenda?

Vor 50 Jahren fand die Kreisreform statt. Wir haben uns entschieden, dieses Jubiläumsjahr zu feiern. Es wird unter anderem ein Bürgerfest geben. Dann werden wir im nächsten Jahr in den Schulen die Digitalisierung weiter vorantreiben. Wir werden verschiedene Modelle für eine neue Führungsstruktur in unseren Kliniken erarbeiten. Beim Projekt Stadtbahn werden wir im März die Planungsaufträge vergeben und die Bürger intensiv informieren.

Ich möchte auch unsere internationalen Partnerschaften im nächsten Jahr weiter pflegen. Mein Ziel ist es, dass wir uns international gemeinsam eines Themas annehmen.

Als Verwaltung wollen wir klimaneutral werden – mit Hilfe von kommunalen Klimazielen, Scouts und Trainings unserer Beschäftigten. Wir werden als Modellkommune den Klima-Mobilitäts-Plan angehen. Das Ziel: Verringerung der Treibhausgase im Verkehr bis 2030 um 55 Prozent, im Vergleich zum Jahr 2010. Außerdem wollen wir unser Klima-Schutzkonzept fortschreiben. Wir freuen uns auf den Prozess.

Mein größter Wunsch ist es, dass der Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich endet und der Landkreis Ludwigsburg sich weiter positiv entwickelt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 
 
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